Mainz 05 - VfB Stuttgart 1:4 (1:1)
22. Mai 2023
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Mit folgender Aufstellung geht der VfB Stuttgart in das Duell mit Mainz am 33. Spieltag:

Kurzfristig wird Sosa (erkältungsbedingt) durch Nartey ersetzt. Die Innenverteidigung besteht aus der Zusammensetzung der letzten Wochen (Anton, Zagadou, Ito), Mavropanos ist aber erstmalig wieder im Kader. Von Sosa abgesehen, ist es die selbe Elf wie vorige Woche gegen Leverkusen, d.h. dass Millot, der aufgrund eines Tattoos unter der Woche von einigen Journalist*innen sehr stark thematisiert wurde, erneut auf der Bank Platz nimmt.
In der 62. Minute betritt Chris Führich für Tiago Tomás den Platz und tauscht mit Silas die Seiten. Nach einer Kopfverletzung muss in der 71. Minute Mavropanos Zagadou ersetzen. In der Schlussphase (86. Minute) stellt der VfB auf einen Zweiersturm mit Coulibaly (für Guirassy) und Führich um, dahinter formiert sich das Labbadia Mittelfeld Karazor - Endo - Haragucchi (für Silas). Auch Stenzel bekommt noch einige Minuten (für Nartey).
Der Spielverlauf und taktische Beobachtungen
Mainz beginnt das Spiel hoch anlaufend, speziell in dieser Phase sammeln die drei Innenverteidger viele Ballkontakte. Auch Bredlow wird wie gewohnt stark eingebunden. Während der gesamten ersten Halbzeit gelingt es dem VfB selten, sich aus dieser tiefen Stellung heraus sich zu lösen und die Räume hinter den hochstehenden Mainzern im Mittelfeld zu finden. Phasenweise erinert das Spiel in der Herangehensweise an Labbadia, da die Mannschaft relativ tief steht und die drei Spieler offensiv stark auf sich allein gestellt sind. Nichtsdestotrotz sind die drei Spitzen ordentlich im Spiel und wird das Spiel (zu langsam) nach vorne verlagert, rücken auch die übrigen Spieler nach. In der Anfangsphase egalisieren sich beide Teams stark und es kommt zu keinen Chancen. Mainz ist eine gewisse Verunsicherung anzumerken, es fehlt auch die sogenannte "Galligkeit", die man häufig sonst von ihnen sieht. Der VfB findet noch nicht seine Räume und hat offenbar auch die Marschroute, das Spiel zu kontrollieren.
In der zweiten Phase des Spiels führen dann zwei große Chancen zum ersten Treffer der Mainzer: Nachdem Bredlow mit einer absolut herausragenden Parade gegen Onisiwo noch das 1:0 verhindert, trifft Ingvartsen nach der daraus folgenden Ecke per Kopf. Diese wird an den zweiten Pfosten geschlagen, von dort abgelegt, abgefälscht und dann im Fünfmeterraum verwandelt. Der VfB ist bemüht zu reagieren, bleibt aber weiterhin völlig ungefährlich und kommt kaum zu Abschlüssen. Als es bereits Richtung Halbzeitpfiff geht, gelingt dem VfB endlich ein gefährlicher Torabschluss: Endo trifft per "Weltklasse-Tor" (Kicker) nachdem, Silas einen seiner signature Konter-Läufen über den rechten Flügel nicht sauber abschließt, der Ball aber trotzdem knapp außerhalb des Strafraums zu Endo springt, der mit dem rechten Aussenrist technisch anspruchsvoll den Ball ins Netz manövriert.
Die zweite Hälfte ist von Anfang an davon geprägt, dass der VfB auf sich ergebende Räume in der Rückwärtsbewegung der Mainzer lauert, während Mainz versucht, das Spiel mehr an sich zu ziehen und sich auch kleinere Torchancen und Stardards erarbeitet. Insgesamt sind die ersten 15 Minuten der zweiten Halbzeit relativ ereignislos.
Der eingewechselte Führich schlägt dann direkt nach seiner Einwechslung eine scharf geschossene Ecke an den kurzen Pfosten, wo sich Guirassy stark in der Luft durchsetzt und souverän den Ball in der langen Ecke platziert. Das Spiel ist jetzt offener, Mainz gerät zunehmend in Laufduellen ins Hintertreffen und wandelt auch am Rande einer gelbroten Karte. In der 73. Minute foult Endo taktisch nah am Strafraum, der Freistoß gerät aber zu ungefährlich. Wenige Minuten später scheitert Guirassy auf der Gegenseite aus ähnlicher Position.
Die letzte Viertelstunde wird dann zum Kantersieg: Maßgeblich verantwortlich dafür zeichnet sich Chris Führich, der in den Strafraum eindribbelt, Bell verlädt und dann den Ball von halblinks aufs lange Ecke schlenzt (78.). Beim Torjubel scheitert er jedoch daran, sein Trikot auszuziehen. In der 83. Minute zeichnet sich Bredlow zwei Mal hervorragend aus, als er sowohl einen Stach-Schuss als auch einen Schuss des eingewechselten Ajorques jeweils mit hervorragenden Reflexen abwehren kann. Beide Schüsse sind zwar eher zentral aufs Tor geschossen, aber trotzdem anspruchsvoll zu halten. Nach diesem verhinderten Anschlusstreffer und einigen Wechseln im Anschluss hat Joker Coulibaly in der Nachspielzeit die Ehre einen von Führich herausgedribbelten Konter einzuschieben und damit den 1:4 Endstand herzustellen.

2 Dinge, die auffielen:
1. Und sie entwickelt sich doch! (Teilweise.)
Es ist wohl eine der Schlüsselfragen, wenn man sich bemüht, diese Saison zu analysieren: Hat das Team sich weiterentwickelt oder ist diese Saison eine Wiederholung der Fehler des letzten Jahres. Kritiker*innen stellen oft in den Raum, dass sich nichts verändert habe und alles, wie vor einem Jahr sei. Besonders laut waren diese Töne nach dem Hertha-Spiel. Man konnte förmlich spüren, wie Wunden aus der Vergangenheit sich wieder öffneten und die Mannschaft als zu unprofessionell beschrieben wurde, die nichts dazu lernt.
Auch wenn diese Sichtweise oft wiedergegeben wird, ist sie nicht haltbar. Das Problem dabei ist, dass einige Problemfelder nun bereits seit mindestens 2 Jahren den VfB begleiten. Das bedeutet aber nicht, dass keinerlei Fortschritte trotzdem auch vorhanden sind. Die Fitnessprobleme bekam Labbadia in den Griff. Eine durchschnittlich zweikampfstarke Mannschat hat sich zu einer sehr zweikampfstarken Truppe entwickelt. Viele Spieler haben individuell den nächsten Schritt in der Entwicklung gemacht - sehr viele sogar (Coulibaly, Millot, Führich, Karazor, Anton, Ito, Vagnoman, Bredlow). Die Altersstruktur hilft in diesem Bereich, da die Spieler altersbedingt fast zwangsläufig besser werden mit jedem Jahr. Die Fortschritte sind natürlich unterschiedlich groß und trotzdem bestehen weiterhin viele Schwächen. Unter Hoeneß kam nun noch eine gewisse strategische Cleverness hinzu, das Team hat verstanden, nicht immer auch 180 sein zu müssen, sondern auch geduldig oder abwartend spielen zu können.
2. Statementspiel von Chris Führich - oder auch: der VfB und die Psyche
Chris Führich hat unbestrittene Qualitäten. Die er aber leider selten in diese Bahnen lenken kann, dass seine Aktionen auch zu Scorerpunkten führen. So war zumindest bisher seine Bilanz in Stuttgart. Einzelne Ausreißer nach oben konnten diesen Gesamteindruck nicht ändern. So wurde er als anfänglicher Starter in den letzten Spielen auch unter Hoeneß zum Joker, der spät im Spiel durch seine quirlige, lebendige Spielweise einen müden Gegner nerven kann, der aber nicht mehr essentiell ist.
Und nun dieses Spiel. 3 Scorerpunkte auf einmal. Das ist ein klares Statement: Chris Führich ist noch da, und dieses Entwicklungsprojekt könnte endgültig aufgehen in der nächsten Saison. Auch ich gehöre zu denjenigen, die mittlerweile daran zweifeln, ob die Konstellation mit Chris Führich noch die Erfolge nach sich zieht, die der Spieler sicherlich in sich trägt. Gut, dass Hoeneß diese langfristige Frustration vieler Fans noch nicht miterlebt hat und offensichtlich die mentalen Knöpfe sowie auch die taktischen Knöpfe zumindest für den Moment gefunden zu haben scheint. Es scheint vor allem ein Kopfproblem zu sein bisher, der Druck in Stuttgart und die Erwartungshaltung ist für viele Spieler im letzten Jahrzehnt eine Bürde gewesen, jüngstes Beispiele sind Florian Müller und vermutlich auch Lucas Pfeiffer. Bei Chris Führich scheint eine Lösung der Blockade realistisch zu sein - sollte er es schaffen, nächste Saison sich auf einem Niveau einzupendeln, auf dem regelmäßig Scorerpunkte herauspringen, wäre er ein Unterschiedsspieler.
// To be mentioned //
- Legendo Part II ?
Was wäre der VfB ohne Wataru Endo? Unser Thomas Müller, Bewegungen und Cleverness auf Weltklasseniveau im Körper eines in einem normal verlaufenen Lebens als Betriebskaufmann in einer japanischen Kleinstadt lebenden Wataru Endos. Sollte auch diese Saison mit dem Klassenerhalt enden, dann haben wir den zweiten Teil der Legendo-Jahre des VfBs quasi abgedreht.
- Sebastian Hoeneß
Wohltuend, wie Hoeneß abgeklärt, sachlich, fokussiert die Aufgaben und die Unruhe rund um den VfB löst. Wie er Spieler gut anpackt (Bredlow, Führich) und saubere Matchpläne ausarbeitet. Das ist alles noch schwer auf eine komplette Saison zu übertragen, da dazu eine Vorbereitung und Anpassungen der Gegner usw. auch mitberücksichtigt werden sollten, aber im Moment hat der VfB hier den Jackpot gezogen.
- Warrior Daxo
Dan-Axel Zagadou. Ein Spieler, an dem sich viele reiben im Moment im Umfeld des VfBs. Eine nüchterne Betrachtung sieht so aus: Er ist genau in dem Bereich Spieler, die der VfB bekommt im Moment. Fehleranfällig, aber mit Entwicklungspotenzial. Seine geistige Schlurfigkeit wird aber sehr viel Entwicklung im Trainerteam benötigen. Im Gegensatz zu den oben angesprochenen Führich oder Müller ist hier nicht der Druck das Problem, sondern wirkliche Defizite in der Spielweise müssen behoben werden. Trotzdem ein hervorragender Spieler im Zweikampf und mit dem Ball am Fuß. Noch ist es zu früh für ein Fazit, das kann noch in verschiedene Richtungen gehen.
- Aufbaugegner Mainz
Zur Wahrheit des Spiels gehört, dass dieser Gegner ein Aufbaugegner war. Mainz ist sicherlich auch in solchen Spielen auf einem Niveau, in dem sie 80% der Teams der Bundesliga weh tun können. Sie sind aber gleichzeitig einfach nicht in Form im Moment.
- Sonderlob Karazor
Mir ist nicht ganz klar, wieso immer noch Karazor von doch einigen Menschen kritisch gesehen wird im Mittelfeld. Ich kann nur den Hut ziehen. Er verlangsamt nicht mal mehr so sehr das Spiel, er ist ständig anspielbar, sortiert, löst Situationen.
- Expected goals
Der VfB overpormt massiv seine expected goals. Das ist ungewohnt - aber gut, an diesem Spieltag lief irgendwie einiges anders als gewohnt. Zweiter Auswärtssieg der Saison.
Ausblick
Die Auswertung der Saison ist durch die vielen Probleme und Wechsel
in der sportlichen Leitung kaum durchzuführen, dazu kommt eine
Frustration nach zwei Jahren sportlichem "Überlebenskampf"; so führen
auch Diskussionen zwischen VfB-Fans im Moment immer wieder in die
gleichen Sackgassen: "Die Mannschaft kann nicht stabil ihre Leistung
bringen!" wird dann argumentiert. Das Gegenargument folgt allerdings
sofort: "Unter Wimmer gabs in der Liga 1,5 Punkte im Schnitt, ohne
Labbadia wären wir längst gerettet!". "Aber die Mannschaft schafft es
einfach nicht, hinten nicht zu patzen!" "Nach expected goals hat der VfB
einfach auch viel Pech!".
In dieser Gesamtkonstellation ist es unmöglich, endgültige "Wahrheiten" zu benennen. Es gibt Anhaltspunkte, einige davon sind widersprüchlich. Im Normalfall würde man die Menschen, mit dem Einblick und idealerweise auch mit dem Vertrauen der Fans entscheiden lassen, was aus dieser Saison folgt. Leider sind diese Personen nicht im Verdacht stehend, äußerst kompetent (Wehrle) oder dem Team gegenüber empathisch (Adrion, Wohlgemuth) zu sein. Daraus folgt, dass vermutlich entweder halbgare Entscheidungen im Sommer folgen werden oder ein inkompetenter Umbruch droht. Auch wenn ich an der Stelle noch nicht den Stab brechen möchte und einen positiven Transfersommer für möglich halte - verdient haben die handelnden Personen es nicht, darüber zu entscheiden und es stellt ein großes Risiko dar, sofern sie nach dieser Saison diese Entscheidungen treffen dürfen.
Aus meiner
Sicht ist es so: Die Mannschaft ist qualitativ trotz Defiziten weitaus
besser als ihr Tabellenstand. Und in einer normalen Saison mit einem
passenden Trainer und einigen Impulsen wird dieses Team einen
Mittelfeldplatz erlangen können (im oberen Bereich der zweiten
Tabellenhälfte spielen). Das Herthaspiel wurde deutlich zu sehr
aufgeblasen aufgrund der letztjährigen Erfahrungen. Ein schlechtes Spiel
nach einem Pokalhalbfinalaus ist wirklich einfach nur menschlich.
Der Kader hat im Moment drei Hauptdefizite: 1. Konstant torgefährliche Spieler im Angriff. 2. Stabiler Torhüter. Wobei Bredlow in diese Rolle wachsen kann. 3. Eine gewisse Reife und Cleverness im Mittelfeld. Hier sind Endo und Karazor wirklich quasi alleinverantwortlich.


