May 28, 2023

Die Fähigkeit, ein Spiel zu killen


27. 5. 2023 | 34. Spieltag 2022/23

VfB Stuttgart - TSG Hoffenheim 1:1 (0:0)
0:1 Bebou (75.)
1:1 Tomás (80.)



Die Ausgangslage ist vor dem 34. Spieltag eindeutig: Ein Sieg muss her! Dann spielt der VfB Stuttgart in der nächsten Saison definitiv in der höchsten Fußballliga Deutschlands.

Mit dieser Formation läuft der VfB auf:


Hoeneß wählt die naheliegende Aufstellung - der wieder genesene Sosa ersetzt seinen Stellvertreter Nartey. Mavropanos rückt in die Innenverteidigung für den verhinderten Zagadou auf die rechte Innenverteidigerposition, Anton übernimmt den zentralen Posten der drei Innenverteidiger. Tiago Tomás nimmt zunächst auf der Bank Platz, dafür rückt der Matchwinner des letzten Spieltags in die Startaufstellung in Person von Chris Führich.

Im Verlauf des Spiels wechselt Hoeneß spät zum ersten Mal, in der 66. Minute kommt Tiago Tomás für Chris Führich. In der 71. stellt der VfB um, die Fünferkette wird zur Viererkette, da Millot für Vagnoman eingewechselt wird. In der 78. und 79. wird dann alles auf Offensive gestellt, erst verlässt Silas den Platz für Coulibaly, dann kommt Pfeiffer für Karazor.

Der Spielfilm und taktische Beobachtungen


Halbzeit I

Das Spiel beginnt verhalten. Der VfB ist um Spielkontrolle bemüht und hat diese auch relativ fest in der eigenen Hand. Es wird aber zunächst nicht wirklich gefährlich, ein überhasteter Schuss von Vagnoman aus etwa 10 Metern ist die einzige Gelegenheit beider Teams in der Anfangsviertelstunde.

Nach 18 Minuten dann eine Gelegenheit, die fast unverschämt hochkarätig daherkommt: Endo findet mit einem Steilpass den geschickt eingelaufenen Vagnoman, der sich im Stile eines Mittelstürmers plötzlich frei vor Baumann befindet. Ähnlich wie bei der ersten Torchance fehlt Vagnoman allerdings die Ruhe und der Ball  landet deutlich über dem Tor. Mit einer Torwahrscheinlichkeit von 38 % (understat) kann hier zweifelsohne von einem Hochkaräter gesprochen werden. Kurz vor Ende der ersten Halbzeit hat Guirassy dann ebenfalls eine Top-Chance, der VfB findet in diesen Einzelsituationen sehr gut die gefährlichen Räume. Dieses Mal ist es Silas, der den einlaufenden Mittelstürmer steil in den Strafraum schickt. Der Pass ist nicht ganz sauber gespielt, Baumann verkürzt gut und Rechtsfuß Guirassy verschießt knapp mit dem Außenrist. Kurz zuvor hatte Ito in guter, zentraler Position gegen Baumgartner gerettet. Insgesamt hatte der VfB eine relativ dominante Spielanlage vorzuweisen, bot zunehmend aber auch Räume, die ein äußerst passives Hoffenheim aber kaum nutzen konnte. Hoffenheim in der ersten Halbzeit unterlegen, aber größtenteils ungefährdet unterwegs.


Halbzeit II

Die zweite Hälfte startet ähnlich wie die erste endete. Keine der beiden Mannschaften geht ins Risiko, der VfB dominant und ungefährlich. In der 53. Minute startet Silas auf der rechten Seite, bricht zur Grundlinie durch, dribbelt sich zentral in den Fünfmeterraum und verpasst sowohl Torabschluss als auch Torvorlage. Der VfB drängt nun, Matarazzo reagiert mit einem Dreifachwechsel. In einer fast identischen Situation wie die zuvor beschriebenen bricht Silas in der 62. wieder durch, das Timing beim Abspiel gelingt nicht, die eingelaufenen Guirassy und Führich können nicht ideal bedient werden, Führich schießt nach einer Drehung den Ball über das Tor. Beide Male werden die Situationen durch hervorragende lange Steilpässe von Vagnoman eingeleitet. Die folgende Ecke geht auf den kurzen Pfosten zu Guirassy, der sich durchsetzt und - im Gegensatz zur Situation letzte Woche gegen Mainz - über das Tor köpft. Die Mannschaft reibt sich in dieser Phase auf.

Der eingewechselte Tomás (Hoffenheim hat zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Mal gewechselt) bringt frischen Wind, Itos langen Ball schießt er aus schwieriger Lage an den Außenpfosten. Direkt im Anschluß wird der Chancenwucher bestraft. Hoffenheim verlagert den Ball von der rechten Seite auf die linke zu Angelino. Die aufgelöste Fünferkette rächt sich: Hoffenheim attackiert mit vier Spielern die letzte Reihe, Karazor und Mavropanos versuchen Angelino zu stellen, dahinter bieten sich große Räume. Ito und Sosa verlieren den sich davonschleichenden Bebou aus den Augen, eine hervorragende Halbfeldflanke verwertet Bebou souverän per Kopf. Das Spiel ist auf den Kopf gestellt, aufgrund der Bochumer Führung ist sogar der direkte Abstieg bei weiteren Schalker Toren zu diesem Zeitpunkt nicht weit entfernt.

Der VfB reagiert. Der Ball wird durch den Strafraum geflippert und landet bei Enzo Millot in der 78. Minute. In einer absolut herausragenden Aktion nimmt dieser den Ball an und jagt in per Seitfallzieher aus etwa 10 Minutern aufs lange Eck an die Latte. In der 81. Minute ist es dann so weit, die Entstehung des Ausgleichtreffers ist aber durchaus glücklich: Endo spielt einen öffnenden langen Ball in den Rücken der aufgerückten Hoffenheimer Mannschaft, Skov stellt sich ungeschickt gegen Tomás an, der sich so im Laufduell durchsetzt und den Ball dann ins linke Eck an Baumann vorbei verwandelt. Im Folgenden ergeben sich noch mehrere ordentliche Schussgelegenheiten (Sosa per zentralem Freistoß, Tomás per Schuss aus dem Strafraum, Mavropanos von außerhalb des Strafraums), die aber alle nicht sauber durchgeführt werden. So steht am Ende ein folgerichtiges Unentschieden auf der Anzeigetafel.


3 Dinge, die auffielen


1. Thema Torgefährlichkeit

Man kann sicherlich viel bei diesem Spiel rumanalysieren, aber aus meiner Sicht kommt man an einem Punkt nicht vorbei: Schaut man sich die Spielanlage und die herausgespielten Chancen an, dann ist es eindeutig so, dass Stuttgart hier als Sieger vom Platz gehen müsste. Diese Unfähigkeit ein Spiel souverän und konsequent zu gewinnen, tritt hier ein weiteres Mal hervor. Natürlich kann man nun entweder die Chancenerarbeitung oder die Chancenverwertung betonen. Und beides hat einen großen Wert. Aber natürlich bringen die allerbesten Torchancen nichts, wenn man sie nicht wirklich verwerten kann. Dabei ist es tendenziell der schwierigere Teil, sich diese Chancen zu erarbeiten. Aber neben defensiven Schwierigkeiten ist der sportliche Hauptkritikpunkt diese Saison - und das war auch schon letzte Saison der Fall - die Verwertung der Torchancen. Einzig Guirassy ist offensiv verlässlich torgefährlich, meistens hat einer der anderen einen guten Tag, aber das ist leider nicht ausreichend in Summe. Sollte der Klassenerhalt gelingen, muss hier unbedingt nachgebessert werden. Keine einfache Aufgabe, da die Probleme wohl mehr als nur korrelieren mit der Altersstruktur der Offensivspieler und weil selbst Guirassys Verbleib nicht gesichert ist.

Es ist aber auch ein mentales Problem: Das Team hat es defensiv gelernt, kompromisslos zu Werke zu gehen. Offensiv ist davon wenig zu sehen; was wirklich bitter ist, weil ich lieber guten Offensivfußball sehe als "reingerotzte" Kontertore, aber auch guter Offensivfußball erfordert in letzter Konsequenz Tore.. Ein Spiel zu "killen" fehlt leider, und woran es liegt, ist scheinbar leicht zu erklären, aber offenbar schwer zu lösen. Nicht nur, aber vor allem auch die Kaderplanung spielt eine Rolle. Auch, weil Pfeiffers gute Bilanz aus der zweiten Liga überhaupt nicht in die Erste übertragen wurde. Wenn man sieht, wie Köln Selke und Tigges verbessert hat und wie Ex-Stuttgarter Bochum retteten, dann liegt die Aufgabe auch durchaus darin, ein Umfeld für die Spieler zu schaffen, in dem sie sich verlässlich entfalten können. Gerade Baumgart leistet dort in Köln sehr gute Arbeit.


2. Pech und Matchplankritik

Ein Fußballspiel ist immer auch ein Sammelsurium an Faktoren, ein Saisonfinale verstärkt dies noch, weil so unterschiedliche Ausgangslagen bestehen, so viel auf dem Spiel steht und alles gleichzeitig passiert. Insgesamt muss man sagen, dass der Plan diese Aufgabe kontrolliert anzugehen wohl nicht ideal war. Natürlich, es hätte aufgehen können, die Chancen dazu waren da. Aber in einem bereits emotionalisierten Stadion vor der Cannstatter Kurve wäre mehr Emotion und Risiko gegen verhaltene Hoffenheimer wohl das bessere Signal gewesen. Dazu kamen dann Pech, Nervosität und ein dämlicher früher Platzverweis Leverkusens hinzu. So hatte der VfB in diesem Spiel nie das Momentum und war immer unter Zugzwang, obwohl eigentlich alle Karten in der eigenen Hand waren. Nichtsdestotrotz war es eine ordentliche bis gute Leistung zu größten Teilen und eine riskantere Spielweise hätte von Hoffenheim natürlich auch bestraft werden können. Ich bin der Meinung, dass Hoffenheim so schwach wirkte, weil der VfB wirklich ein gutes Spiel machte, das aber eben lange Zeit auf Kontrolle aus war und später unter Nervosität litt.


3. Danke Alex, danke Bruno

Dazu wurde schon alles gesagt und nach Saisonende werden weitere Analysen folgen. Natürlich bestehen verschiedene Problemfelder. Aber zusätzlich auf stillose oder planlose Art und Weise wiederholt durch schlechte Kommunikation und schlechte Entscheidungen Unruhe und Verunsicherung in den Verein zu tragen, hat eine komplizierte Saison zu einer insgesamt misslungenen gemacht. Dass der VfB nach Bruno überhaupt noch eine Chance auf den Klassenerhalt hat, ist aller Ehren wert in Anbetracht von Bruno Labbadias Bilanz (6 Punkte in 11 Spielen). Dieser Fehler wurde zu spät korrigiert und hätte nicht begangen werden sollen.

// To be mentioned //

- Silas und Serhou

Leider beide am 34. Spieltag unglücklich. Bei Serhou ungewohnt, bei Silas diese Saison schon häufiger. Diese beiden in einer stabilen Form, ergänzt um einen verlässlich torgefährlichen Spieler, das wärs.

- Enzo-Love

Millot spielt immer. Also in meinem Kopf, hoffentlich bald wieder von Anfang an.

- FC Augsburg

Fast schlimmer als der Einzug in die Relegation wiegt, dass ein Sieg dazu geführt hätte, dass die "bayerischen Schwaben", die "Unabsteigbaren" sich dann in akuter Abstiegsnot befunden hätten.

- Cannstatter Kurve

Falls Rino den Tipp gegeben hatte, in der zweiten Halbzeit den VfB Richtung Untertürkheimer Kurve spielen zu lassen, dann war das wirklich eine Durchtriebenheit, die ich bei ihm nicht erwartet hätte. War auf jeden Fall ein bitterer Nachteil.



Einordnung

Zu viel ist zu viel. Wenn die letzte Saison mit Karma zum Klassenerhalt gebracht wurde, dann ist es nur gerecht, dass diese Saison die Relegation folgt. Wir sind alle etwas sprachlos, wie diese Saison so miserabel verlaufen konnte (insbesondere was die Ergebnisse angeht). Es war überwiegend guter Fußball, schlechte Ergebnisse und Dramen ohne Ende. Auf und neben dem Platz. Heute ist man mit einem blauen Auge am Abstieg vorbeigeschrammt; die "Hochrisikospiele Relegation" könnten zu allem führen.

Wenn es in der zweiten Liga unter Mislintat und Hitz die Devise war, Spieler zu verpflichten, die in ihrer Karriere häufiger Widerstände schon überstanden und gemeistert haben; dann muss man leider befürchten, dass aktuell offensiv zu wenige Spieler eine solche Karriere vorzuweisen haben. Trotzdem liebe ich den Kader - let's see how we can survive this.

Donnerstag gehts weiter. VfB - HSV. Flutlicht.

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