Gegen den VfB ist momentan kein Kraut gewachsen - auch die kriselnden "Kultkicker" aus Köpenick scheitern am VfB. In einer chancenarmen Partie hat der VfB zu jeder Zeit die Spielkontrolle, die Innenverteidigung überragt. Aber: Guirassy verletzt sich.
Schauen wir uns die Begegnung einmal unter der Lupe an.
Ausrichtung
Sebastian Hoeneß wählte gegen Union Berlin im Anschluss an die zweite Länderspielpause die folgende Aufstellung:
Die Offensive bleibt somit im Vergleich zur Partie gegen Wolfsburg vor der Länderspielpause unverändert. Defensiv wird dagegen etwas justiert, Mittelstädt vertritt Ito (der wegen Rückenproblemen auch die Länderspiele nicht bestreiten konnte) und Zagadou darf wieder von Beginn an spielen, dafür rückt Rouault nach außen und Stenzel nimmt zunächst außerhalb des Spielfelds Platz.
Aufgrund eines Muskelfaserrisses wird Guirassy nach einer halben Stunde ausgewechselt, Undav kommt für ihn. Die zweite Wechselsession betrifft die 69. Minute; es betreten Ito und Silas das Feld, positionsgetreu für Mittelstädt und Leweling. Komplett ausgeschöpft wird das Kontingent dann in der Schlussphase (82.), direkt nach dem 2:0. Jeong für Millot und Stenzel für Zagadou (angeschlagen) heißt es dann.
Der Spielfilm und taktische Beobachtungen
Halbzeit I
Die Heimmannschaft aus dem tiefen Osten Berlins empfängt den VfB mit einer (zumindest ergebnistechnisch) hundsmiserablen Bilanz in den letzten Wochen: 7 Pflichtspielniederlagen wettbewerbsübergreifend sind wohl eine im Reporter-Jargon als "schweres Gepäck" zu bezeichnende Vorgeschichte. Ganz anders der VfB, 6 Pflichtspielsiege in Folge haben das Selbstvertrauen gewaltig anwachsen lassen.
Entsprechend ihrer Reputation schert sich Union in den ersten Minuten nicht viel um Ballbesitz und ist sich auch für unangenehme Zweikämpfe nicht zu schade. Der VfB übernimmt dagegen sofort die Spielkontrolle, es ist aber in den ersten Minuten vor allem ein Abtasten beider Teams, Chancen sind nicht zu verzeichnen in der Anfangsphase und einige Standards sind schwach getreten. Durch Unions geringes Interesse an Ballbesitz sind vor allem die Stuttgarter Innenverteidiger sehr gefragt - der VfB steht relativ hoch und Union relativ tief, Unions lange Bälle müssen dann regelmäßig von ihnen verteidigt werden.
In der 15. Minute kann man den Eindruck gewinnen, dass sich der VfB langsam den Gegner zurecht legt oder zumindest an Sicherheit gewinnt. Der VfB stört hoch stehend mit vielen Spielern den Spielaufbau und erobert den Ball mehrmals, Union schafft es so nicht aus dem letzten Drittel herauszukommen. Bis auf die beiden Innenverteidiger sind alle VfB Spieler im offensiven Drittel zu finden.
Nachdem sich Union doch mal lösen kann, aber der lange Ball verloren geht, kann Leweling Union etwas in die eigene Hälfte ziehen und mit einem tollen Dribbling einige Gegner überrumpeln (16.). Mittelstädt spielt die Situation nicht gut aus, aber Guirassy kann aus dem Raum vor dem Strafraum auf Rouault ablegen. Gegenspieler Doehki hatte ihn gestellt, orientiert sich dann aber zurück in die Dreierkette von Union. Guirassy kann völlig unbemerkt von Doehki wieder mittig in den Strafraum einlaufen. Dort findet ihn Rouault mit einer weichen Flanke und Guirassy köpft ins kurze Eck abgebrüht zur Führung ein!
An der Spielanlage ändert das Tor nichts, der VfB hat in den ersten 20 Minuten 69 Prozent Ballbesitz, Union wirkt auch in den Zweikämpfen etwas glücklos. Das generelle Bemühen und die Aggressivität ist ihnen sicher nicht abzusprechen, aber es scheint der Glaube etwas zu fehlen, so dass der VfB seine mittlerweile gewohnten Ballstafetten zeigt und nach Ballverlusten den Ball in schöner Regelmäßigkeit zurückgewinnt. War in den letzten Spielen oft die rechte Defensivseite eine Schwachstelle, können Rouault und Anton viele Situationen hier sehr gut auflösen, es ist aber vermutlich auch das Glück einer Mannschaft, die einen Lauf im Moment hat. Vergleicht man die Stuttgarter Präzisionsarbeit im eigenen Ballbesitz (Mittelstädt fällt hier etwas ab), wirkt Unions Spielweise doch etwas arg unsauber, auch die langen Bälle sind in dieser Form nicht bedrohlich.
Rund um die 25. Minute beginnt Union dann selbst auch den Ball in Ballbesitz zu halten und rückt etwas auf. Der VfB bleibt aber sehr präsent und geht auch selbst in den Zweikämpfe mit der richtigen Schärfe an den Gegenspieler. Erkennbar auch an den strafwürdigen Situationen: Nach 35 Minuten hat der VfB 6 Fouls begangen (Union 4). Nach 36 Minuten kommt mal wieder so etwas wie Gefahr auf: Führich zieht nach innen und einige Gegenspiel auf sich. Er legt auf Karazor nach links ab, der schickt Millot auf die Reise in den Strafraum am linken Rand. Millot schlägt den Ball auf den langen Pfosten, Undav (soeben für Guirassy gekommen) verpasst relativ knapp aus spitzem Winkel.
In der ersten Hälfte ist bezüglich Torchancen weiterhin ein sehr ereignisloses Spiel, rund um die 41. Minute setzt sich der VfB nochmal am Strafraum fest, die Flanken finden aber keine Empfänger. In der 45. kann Millot Rönnow im Kasten der Unioner fast im Gegenpressing erreichen. Trotzdem: Es ist vor allem ein bärenstarkes Spiel der Innenverteidigung (Zagadou und Anton), des Torhüters und der beiden Sechser (Karazor und Stiller), die dem VfB die Spielkontrolle ermöglichen. Anton kommt in 45 Minuten zu 6 Klärungsaktionen (11 im gesamten Spiel; whoscored.com). Zagadous Hereinnahme ist durch seine Defensivpräsenz Gold wert.
Halbzeit II
Union reagiert in der Hälfte mit einem Dreifachwechsel und stellt die Offensive fast komplett neu auf. Union istnun deutlich aktiver, aber weiterhin offensiv einfach unpräzise und uninspiriert. In der generellen Spielanlage fällt neben dem Fokus auf die Spielkontrolle beim VfB auf, dass offensiv sehr viel über Leweling läuft, der sich immer wieder in Zweikämpfe wirft und die Dribblings sucht. Der rechts-Fokus hängt wohl auch damit zusammen, dass Führich als inverser Spieler gegen die tiefe Fünferkette und die Mittelfeldspieler direkt davor, oft abbrechen oder abspielen muss, während Leweling eher Richtung Grund- oder Außenlinie zieht.
Die erste Torchance der zweiten Hälfte entsteht in der 53. Minute: Undav legt nach außen auf Führich, der zieht in die Mitte und spielt wieder Undav im Strafraum an. Gegen zwei Gegenspieler versucht er den Ball von der Strafraumkante aufs lange Eck zu ziehen, aber verzieht dabei. Das Spiel wird unruhiger und die freien Räume auf beiden Seiten größer, durch Unions höhere Ausrichtung entstehen auch schnellere Ballverluste beim VfB. Einen dieser Räume findet in der 60. Minute Enzo Millot auf Pass von Führich, Millot schläagt auf links den Ball direkt vor den Kasten, Undav verpasst im Fünfmeterraum gegen Rönnow ganz knapp!
Aber auch Union wird gefährlicher: Trimmel bricht auf seiner rechten Seite durch und läuft in den Strafraum ein, versucht Behrens im Fünfmeterraum anzuspielen (60.). Nübel ist da. Er leitet sogar über den mitdenkenden Undav eine äußerst aussichtsreiche Kontersituation ein, die leider die Millot dann durch einen technischen Fehler zunichte macht.
Undav findet zunehmend besser ein, und übernimmt Guirassys Rolle für mich auch auf ansprechende Art. In der 66. Minute findet ihn Mittelstädt nach einer Flanke im Strafraum. Er zieht drei Gegenspieler auf sich und legt auf Führich ab. Rönnow kann den Ball halten, aber vor allem die Art und Weise, wie Undav Bälle abschirmen kann, ist ziemlich nice. Exemplarisch die Anschlusssituation, weil solche nicht immer aufgezählt werden können, aber heute spielentscheidend sind: Schneller Abwurf von Rönnow, Anton antizipiert ideal.
Weiterhin kommt Union nicht zu Torchancen; Fernschüsse, abgefangene Flanken oder Fast-Durchbrüche auf den Flügeln werden allerdings häufiger. So zum Beispiel in der 68. als Becker mit einem langen Ball gesucht wird, Rouault vorbeigrätscht und in die Mitte legt, aber Zagadou die Hereingabe abfängt. Knapper wird 10 Minuten später. Gleiches Prinzip: Der schnelle Becker wird über Unions linke Seite geschickt und spielt flach in die Mitte, findet dieses Mal aber Fofana im Strafraum beim Konter. Fofana direkt aus dem Lauf aus 11 Metern, gegen den herausstürmenden Nübel - drüber.
In diese Phase der Durchbrüche über die Flügel kommt dann eine Einzelaktion von Silas, nachdem sich die Stuttgarter Mannschaft Schritt für Schritt aus dem Pressing der Unioner löst und Undav durchlässt. Silas legt den Ball in die Spitze an seinem Gegenspieler vorbei, zündet die Rakete, zieht von halblinks in die Mitte, täuscht den Schuss an und verwandelt dann im Strafraum toll ins rechte Ecke. Silas sichtlich glücklich über seinen Treffer wird vom Team lange geherzt.
In der 86. Minute dann nochmal die Chance zum Anschluss: Trimmel per Freistoß kurz vor der Eckfahne, Nübel kommt nicht ran, aber den Unioner Kopfball können die Stuttgarter abfangen, der VfB kann den Ball nicht richtig klären, aber Gosens Schuss im Anschluss blocken.
Das 3:0 ist dann zum Zunge schnalzen. Union spielt den Ball mal wieder unsauber raus, Karazor gibt auf Stenzel, der legt zu Stiller ab. Stiller öffnet mit einem Ballkontakt den Raum für Jeong rechts vorne. Jeong wiederum flankt butterweich und ungestört auf den eingelaufenen (und ungedeckten) Undav, der köpft entspannt ein. Endgültige Entscheidung.
22. 10. 2023 | 8. Bundesliga-Spieltag 2023/24
Union Berlin - VfB Stuttgart 0:3 (0:1)
0:1 Guirassy (16.)
0:2 Silas (81.)
0:3 Undav (88.)
3 Dinge, die auffielen
1. Erst einmal mischen wir oben mit
Vor den Partien gegen Wolfsburg, Union und Hoffenheim war klar, dass diese jeweils individuell hochklassigen Teams uns Fans einen Eindruck geben werden, wo der VfB aktuell steht. Für den Moment - Hoffenheim noch offen - kann festgehalten werden: Wir sind diesen Teams zur Zeit einen Schritt voraus. Jeder Gegner stellt andere Herausforderungen, aber bisher lösen wir sie mit Bravour und dem Selbstvertrauen eines Teams, das einen Superlauf hat.
Was bedeutet das für die Saison? 21 Punkte sind so etwas wie eine Garantie, dass man dieses Jahr nicht mehr in den Abstiegskampf gerät. Selbst mit einem Horror-Punkteschnitt von 0,55 Punkten (Labbadia-Schnitt letztes Jahr) würden diese Saison 35 Punkte herauskommen (21+14), die normalerweise für den Nicht-Abstieg reichen. Zu Beginn der Saison habe ich formuliert, dass es die Zielsetzung sein könnte, dieses Jahr die zweite Tabellenhälfte zu gewinnen (Platz 10 oder besser). Das war zudem Zeitpunkt unsere Champions League-Platzierung. Der VfB selbst sprach bißchen fluffiger von einer "sorgenfreien Saison" als Zielsetzung.
Obwohl der VfB diesen Traumstart punktetechnisch hat, sind es mit Blick auf die Tabelle nur 4 Punkte Vorsprung auf Platz 5 und 9 Punkte auf Platz 9. Danach ist dann die große Lücke, auf Platz 10 (Augsburg) sind es bereits komfortable 13 Punkte. Die Chancen stehen also ausgezeichnet, dass der VfB voll auf Kurs ist, in der ersten Tabellenhälfte zu überwintern. Innerhalb der ersten Tabellenhälfte ist aber noch sehr vieles möglich, dazu sind die Abstände viel zu knapp. Aber: Auch nach dem nächsten Spieltag werden wir weiterhin nicht schlechter als Platz 4 stehen. Wohin die Reise gehen könnte, wird sich vielleicht etwas mehr gegen Dortmund, Leverkusen und Bayern in November und Dezember zeigen. Aufgrund derer Qualität gehe ich aber weiterhin davon aus, dass wir am Ende maximal Europa-League/Conference-League spielen werden.
2. Union "den Zahn gezogen"
Es war eine sehr beeindruckende Leistung. Zugegeben, ohne den Führungstreffer durch Guirassy hätte das auch ein zähes 0:0 werden können. Aber Union - die mittlerweile wirklich viel Qualität haben - waren bis weit in die zweite Hälfte fast schon planlos, wie sie den VfB wirklich gefährden können. Die Innenverteidigung (plus Nübel) war in dieser Partie aus meiner Sicht spielentscheidend. Dadurch war Unions "Spielidee" der ersten Hälfte völlig wirkungslos. Es war erneut eine Partie, die sowohl verdient gewonnen wurde, die aber auch in die Kategorie: Wenns läuft, dann läufts fällt. Das Schöne daran ist besonders, finde ich, dass es doppelt so schön ist, wenn zwei Jahre lange immer exakt das Gegenteil passiert ist.
Beim VfB war fast jeder Pass durchdacht. Bis auf Leweling und Nübel glänzt die ganze Startaufstellung mit einer Passquote von über 80%.
3. Guirassy-Ausfall
Guirassy viel in seiner Karriere leider immer mal wieder aus. Das ist jetzt der erste echte personelle Härtefall für den VfB. Schwer abzuschätzen, wie sich das in den nächsten Partien auswirkt. Natürlich war er bisher der x-Faktor im Spiel, aber die Mannschaft ist aktuell so gefestigt, dass der Ausfall abfangbar erscheint. Schau'n mer mal. (Und: Gute Besserung, Serhou!)
To be mentioned
- Gute Anpassung defensiv
Während Ito angeschlagen erst mal draußen Platz nahm, war die Herausnahme von Stenzel vermutlich aus anderen Gründen. In den letzten Partien war die rechte Defensivseite oft unsere Schwäche, heute stand die komplette Abwehr größtenteils sehr sicher. Rouault ist hier eine gute defensive Variante und ermöglicht es Hoeneß zudem, Rouault und Zagadou gemeinsam aufzustellen. Sonderlob heute für ihn: Ein echtes Statement-Spiel. Wenn er das dauerhaft - also ohne Aussetzer und mit gutem Stellungsspiel im Konter - auf den Platz bringt, dann ist er für mich gesetzt in dieser Mannschaft. - Silas trifft wieder!
Es war DAS Problem die letzten Jahre: Torabschlüsse verwerten. Undav hat hier bisher einen guten Eindruck gemacht, Silas ist nun auch wieder am Start. Könnte je nach Ausfalldauer von Serhou sehr wichtig werden. - VfB inTEAM
Zum Abschluß noch die beste Idee des Marketings beim VfB seit Fritzle: Die neue Folge von inTeam
Eine gute Woche an alle VfB-Fans!