Die auswärtsstarken Hoffenheimer werden am Samstagnachmittag in der Stuttgarter Festung begrüßt. Ohne den "besten Mittelstürmer der Welt" stottert der Motor jedoch, in einem unruhigen Spiel gehen die Ritter aus Baden dieses Mal siegreich nach Hause.
Schauen wir uns die Begegnung einmal unter der Lupe an.
Ausrichtung
Sebastian Hoeneß wählte gegen Hoffenheim diese Startaufstellung:
Im Vergleich zum 3:0-Sieg in Berlin bei Union kommt es zu 4 Wechseln in der Startaufstellung: Undav ersetzt den verletzten Guirassy, Silas spielt für Leweling rechts vorne. Zwei weitere Wechsel in der Defensive: Stenzel und Ito beginnen, dafür nehmen Mittelstädt und Zagadou auf der Bank Platz. Stenzel und Ito nehmen ihre jeweils angestammten Positionen wieder ein, dafür rücken Rouault und Anton eine Position nach links (ohne Zagadou) und bilden das Innenverteidiger-Pärchen im Zentrum.
In der 64. Minute, nach dem 1:2 wird Zagadou für Rouault eingewechselt, 3 Minuten später (nach dem 1:3) kommen Jeong und Leweling für Stenzel und Karazor in die Partie. Zu diesem Zeitpunkt spielt der VfB mit einer defensiven Dreierkette, Leweling und Silas kommen über die offensiven Flügel vor einem Vierermittelfeld bestehend aus Führich, Jeong, Stiller und Millot. Die Schlussphase bestreiten Egloff und Milosevic (eingewechselt für Silas und den angeschlagenen Führich, 83.).
Der Spielfilm und taktische Beobachtungen
Halbzeit I
Hoffenheim beginnt mit langen Bällen, Stuttgart ist direkt um Spielkontrolle und durchdachtes Kurzpassspiel bemüht. Schon in den ersten Minuten finden die Stuttgarten mehrmals links offensiv einen freien Raum in der Hoffenheimer Defensive.
So auch in der 4. Minute: Der aufgerückte Ito schlägt die Flanke, im Zentrum steht Hoffenheim dann aber mit drei Spielern geballt um Undav herum. Den herausgeköpften Ball gewinnt Weghorst gegen Stiller, weil dieser sich verschätzt (eventuell ist auch ein kleiner Weghorst-Schubser mit im Spiel). Durch Itos aufgerückte Position hat Weghorst an der rechten Außenlinie viel Platz und schickt Beier auf die Reise. Beier hat bereits etwas Vorsprung, weil Rouault auf Abseits spielt, aber zu spät rausrückt bzw. Beier die Bewegung auch aufnimmt und so nicht im Abseits steht. Beier, verfolgt von Anton und Rouault dringt diagonal in den Strafraum ein, Nübel pariert seinen Schuss, den Abpraller erreicht aber Prömel, der den Ball scharf links unten versenkt. Prömel war nachgerückt, Stenzel und Karazor kommen zu spät zurück.
Der VfB hat jedoch direkt die Möglichkeit, zurückzuschlagen: Karazor spielt Silas zentral an, der verliert den Ball. Grillitsch möchte zu Baumann zurückspielen, Undav hat das aber antizipiert und steht frei vor Baumann! Er probiert aus nächster Distanz den Heber, scheitert aber an Baumann. Die Aktion wirkt etwas überrascht von der plötzlichen Topchance.
Es ist in den ersten Minuten ein sehr unruhiges Spiel. Hoffenheim - in allen drei bisherigen Auswärtsspielen siegreich - verlässt sich auf eine reaktivere Spielweise, steht dann aber im Zentrum mit viel Personal und versucht bei Ballgewinn den offensiv eingestellten VfB zu überrumpeln. Aufgrund der Qualität und Schnelligkeit der Angreifer ein durchaus vielversprechender Plan. Nach 10 Minuten beruhigt sich das Spiel etwas, der VfB hat die Spielkontrolle (75% Ballbesitz in der Anfangsviertelstunde), es fehlt aber vor dem Tor die Präzision, um sich Torchancen zu erspielen.
Nach 15 Minuten setzt sich nach einer längeren Ballstafette Führich bockstark auf links durch, zieht an der Grundlinie nach innen und spielt Undav an, dessen Schuss gerade noch so geblockt wird. Zwei Minuten später verliert Karazor im Angriff den Ball, Prömel marschiert, gestört von Stiller, und schickt Beier steil. Beier zeigt wieder eine kluge Bewegung: Er täuscht an, links an Rouault vorbeigehen zu wollen, der versucht Kontakt aufzunehmen, zieht dann aber nach rechts, Rouault sucht wieder den Kontakt und Beier geht nach links und hat den Ball. Nach der Ballannahme kann Rouault ihn eigentlich doch noch stellen, Beier spielt aber weiter Katz und Maus und legt den Ball nach innen. Dort sichert Anton eigentlich den Ball, Rouault sieht das aber vermutlich nicht und möchte Rouault stören, trifft ihn aber mit der Hand im Gesicht. Den Elfmeter verwandelt Weghorst links unten, vom Innenpfosten springt der Ball ins Tor (21.).
In der 24. Minute kommt Ito nach einer Ecke zum Fernschuss: Deutlich über das Tor. Die sehr dynamischen Hoffenheimer Angreifer gewinnen offensiv wiederholt ihre Zweikämpfe und sorgen so für Gefahr. Der VfB spielt es eigentlich gut, bisher haben die vielen Hoffenheimer Defensivakteure aber immer ein Bein dazwischen und so liegt der gewohnt sehr offensive VfB zunächst zurück. Vor allem Ito und Stenzel sind ständig offensiv präsent. In der 27. dribbelt Führich, nimmt Ito mit - seinen Abschluss aus 15 Metern hat Baumann sicher. Besser klappt es in der 29. Minute: Wieder ist Führich links durch, flankt von der Strafraumkante, Baumann fällt der Ball mit einer Unachtsamkeit herunter, Undav legt den Ball nach hinten und fällt dann über Baumann. Zwayer entscheidet auf Strafstoß. Aus meiner Sicht eine glückliche Entscheidung. Undav tritt selbst zum Elfer an - und verschießt, von Baumann rechts unten an den Pfosten gelenkt!
Stenzel nach 32 Minuten mit einem Fernschuss flachs ans Außennetz ist die nächste Halbchance (bzw. Achtelchance). Immer wieder verlagert Hoffenheim das Spiel sofort nach rechts vorne, Stuttgarts rechte Defensivseite ist quasi irrelevant, tiefes Aufbauspiel - wie es Matarazzo in Stuttgart oft spielen ließ - ist bei Hoffenheim heute quasi nicht vorhanden. In Minute 40 findet Stenzel mit einer guten Flanke den Kopf von Undav, der den Ball halbrechts aufs Tor bringt, aber in Baumann erneut seinen Meister findet. In weiteren Torchancen scheitern Führich und Beier knapp. Nach expected goals ist es eine ausgeglichene erste Hälfte (fotmob.com), bei Hoffenheim verteilen sich die Chancen aber auf 3 hochkarätige Situationen, beim VfB dagegen auf 9 unterschiedliche Situationen.
Halbzeit II
Hoffenheim beginnt recht aktiv mit Angriffen über ihre rechte Seite, steht auch etwas höher, der VfB löst aber die ersten Situationen gut. Nach 6 Minuten kommt Millot zum Kopfball im Hoffenheimer Strafraum, bekommt aber nicht genügend Druck hinter den Ball. Weitere 9 Minuten später (60.) kommt der VfB endlich mal in den Konter. Nach einem Hoffenheimer Freistoß marschiert Chris Führich über links, nimmt Undav links außen mit, der zieht geschickt in die Mitte, findet aber leider keinen seiner Mitspieler vor dem Kasten. Die offenen Räume sind nun offenbar größer.
Immer wieder ist es Chris Führich, den Hoffenheim nicht in den Griff bekommt. So beispielsweise in der 61.: Stiller spielt Führich im Zentrum an, der wird von 2 Hoffenheimern gestört, kann aber an der Strafraumkante Undav anspielen. Undav spielt mit der Hacke Doppelpass mit Führich und Führich verwandelt souverän aus an Baumann vorbei ins rechte Eck. Ein sehr verdienter Treffer, der aber trotzdem etwas aus dem Nichts kam, weil der VfB trotz zunehmenden Druck bis dahin nicht wirklich torgefährlich wird, es ist vor allem Undavs individuelle Klasse, die dieses Tor ermöglicht.
Der VfB hat nun das Spiel fest im Griff, nach dem Treffer kommt Hoffenheim zunächst kaum an den Ball. In der 65. kommt Hoffenheim erstmals wieder durch, Stach überläuft die komplette rechte Seite, am Ende ist es aber ein harmloser Bebou-Schuss. In der 66. Minute hat sich Beier auf die von ihm aus linke Seite fallen lassen und wird dort angespielt. Da Stenzel hochpressen wollte, ist Beier im Laufduell mit Anton. 3 Stuttgarter verteidigen 3 Hoffenheimer. Anton kann Beier nicht stellen, der spielt weiter auf den nachgerückten Skov. Die Abwehr schiebt nach, aber Skov schießt aus spitzem Winkel und kurz von der Strafraumgrenze einfach mal halbhoch - der Ball schlägt halbrechts ein. Am Ende ist das Tor Abschlussglück und -können, die defensive Absicherung funktioniert aber erneut nicht. Wie bei bei dem ersten Tor kann ein nachrückender Spieler das Tor erzielen, die Verteidiger haben Schwierigkeiten im 1 gegen 1 und das Stuttgarter Mittelfeld steht zu hoch, um die Abwehr zu unterstützen.
Der VfB meldet sich wenig später mit einem gefährlichen Fernschuss von Undav aus 18 Metern wieder an. Das 2:3 ist dann ein ziemlich kurioses Ding: Leweling dribbelt über links in den Strafraum, sieht das Baumann recht weit vorne steht und schlägt den Richtung Tor aufs lange Eck, der Ball senkt sich und wird länger und länger - und springt von der Latte an den Pfosten, von dort in den Fünfmeterraum. Undav antizipiert in bester Stürmermanier und köpft völlig frei ein (73.).
Hoffenheim ist nun offensiv ziemlich abgemeldet, der VfB tut sich aber auch schwer. Doch in der 79. Minute kommt es fast auf hochklassige Weise zum Ausgleich. Ito, Führich und Millot spielen miteinander auf dem Flügel, Millot schlägt den Ball dann lang in die Mitte. Hoffenheims Führerkette steht im Strafraum positioniert und gewinnt das Kopfballduell. Der Ball landet aber bei Jeong, der kann dann Ball mit Glück zu Undav am Fünfmeterraum bringen, der nimmt mit blindem Verständnis den Ball an und spielt ihn zu Silas in seinem Rücken. Silas völlig frei, nimmt den Ball unsauber an, schließt von halbrechts ab - und scheitert an Baumann.
In der Schlussphase ist das Spiel schnell und aufregend, wogt hin und her, es ist aber auch oft unpräzise gegen viele Hoffenheimer in der Defensive. Wenn was geht, dann über Leweling. Klare Torchancen gibt es nicht. Bis zur 94. Minute: Millot spielt von rechts Undav im Strafraum an, der legt wieder überlegt ab, zum aufgerückten Anton. Aus spitzem Winkel zieht Anton ab - gehalten. Das Spiel ist fast vorüber, es gibt noch einmal eine letzte Ecke. Der VfB gewinnt den 2. Ball, spielt zu Millot raus - und der läuft nach innen, setzt zum Lucky Punch an! Aber auch hier: Baumann ist wieder nicht zu schlagen.
Am Ende ist der 2-Tore-Rückstand eine zu hohe Hypthek. Der VfB zwar mit 2 Treffern aus 1.9 expected goals in Halbzeit 2, aber Hoffenheim macht aus 0.15 expected goals wieder einen Treffer dank Skov. Mit etwas mehr Glück wäre der Ausgleich möglich gewesen.
28. 10. 2023 | 9. Bundesliga-Spieltag 2023/24
FSV Mainz 05 - VfB Stuttgart 1:3 (0:0)
0:1 Prömel (4.)
0:2 Weghorst (21.)
1:2 Führich (61.)
1:3 Skov (66.)
2:3 Undav (73.)
2 Dinge, die auffielen
1. Matarazzo mit cleverer Ausrichtung
Am Ende war zwar das Spielglück mit- oder hauptverantwortlich für den Sieg, aber Hoffenheims Taktik ging für meine Begriffe besser auf. Zwar hat der VfB über das Spiel eine Vielzahl an kleineren und teilweise auch größeren Torchancen angesammelt, aber die Tore Hoffenheims waren ebenso überhaupt nicht zufällig, sondern haben Stuttgarter Schwachstellen ausgenutzt. Immer wieder musste die Abwehrreihe in direkte Duelle, die naturgemäß gegen Spieler wie Weghorst oder Beier tough sind. Und da die Abwehrreihe dann gebunden war, konnten die dynamischen Hoffenheimer Spieler nachrücken (wie Skov und Prömel). Karazor und Stiller sind geniale Spieler bisher diese Runde gewesen, aber beide haben Defizite in dieser Disziplin.
Offensiv ging der Stuttgarter Plan schon auf, alles andere zu behaupten wäre bei 3.61 expected goals auch absurd. Aber für meine Begriffe war die Balance im Stuttgarter Spiel heute nicht gegeben. Gegen andere Gegner geht das gut, gegen einen Gegner auf Augenhöhe in der Spielerqualität geht das dann halt auch mal schief. Insbesondere wenn man nicht auf den überragenden Guirassy vorne zählen kann. Undav hat ihn würdig vertreten, aber im Kollektiv konnte er nicht ganz aufgefangen werden, was ich vor allem dem sehr schwachen Silas anlaste. Und so bleibt bei mir das Gefühl, dass es Pech war, aber die Spielanlage gegen einen solchen Gegner nicht ausgewogen war. Vermutlich hat man Hoffenheim offensiver erwartet, der frühe Gegentreffer spielte ihnen dann in die Karten.
2. Aussagekraft?
Nach dem Leipzig-Spiel schrieb ich: Insofern wird sich erst im Nachhinein sagen lassen, ob diese wilde Partie eine kleine Anekdote der Saison wird oder größere Relevanz für den Saisonverlauf hat. Lernt die Mannschaft daraus und zeigt gegen Freiburg eine reife Partie, wäre schon manches gewonnen.
Im Gegensatz zu vielen Kommentaren, die ich online gelesen habe, sehe ich es nicht so, dass es quasi nur ein Betriebsunfall war. Man muss schon die richtige Reaktion zeigen, sonst kann schnell ein Negativlauf entstehen. Ich bin der Meinung, dass die Zutaten für diesen unglücklichen Spielverlauf durchaus Substanz haben: Defensiv große Räume angeboten und zu wenig Konterabsicherung, offensiv kein Guirassy. Das ist jetzt mehrmals - auch dank Guirassy sehr gut gegangen - auch ohne ganz die richtige Balance zu haben, entweder weil die Gegner im Tief waren (Köln, Union), oder weil die Klasse vorne es gerichtet hat (Wolfsburg). Aber gegen diese Gegner auf Augenhöhe (oder darüber), wie demnächst gegen Dortmund oder Leverkusen, braucht es Anpassungen. Aber ich bin sehr optimistisch, dass Hoeneß diese findet.
To be mentioned
- Aufstellung
Ich persönlich hätte gerne rechts vorne Jeong von Anfang an gesehen. Auch Zagadou war gegen Union so stark, dass ein Startelfeinsatz mich gefreut hätte, auch wenn seine Schnelligkeitsdefizite eventuell ins Gewicht gefallen wären. Silas muss definitiv liefern in nächster Zeit, ich denke der Startelfeinsatz war auch aufgrund seiner Torgefahr und der Hoffnung auf einen geplatzten Knoten nach Köln, aktuell sollte er aber wohl eher die Jokerrolle erhalten. - Defensive Fehler?
Man liest desöfteren zu der Partie, dass defensiv sich die Abwehrspieler nicht gut angestellt haben. Natürlich sahen Rouault und Anton nicht gut aus bei den ersten beiden Gegentoren (auch Stiller nicht wirklich), aber ich würde es nicht so richtig ihnen anlasten. Spieler von der Schnelligkeit sind halt auch sehr schwer zu verteidigen, der VfB hat eben auch keinen Van Dijk im Kader, so dass man die Spielweise nicht einfach immer durchziehen kann, vor allem dann, wenn das Mittelfeld auch noch vorne gebunden ist. Es war jetzt viel die Rede von der Balance - um es nochmal zu wiederholen, es waren für mich eher Gegentore aufgrund der taktischen Ausrichtung als aufgrund von individuellen Fehlern. Rouaults Elfmeter war natürlich schon ein solcher, aber auch hier war er komplett alleine in einer Kontersituation gegen Beier. Umgekehrt kann man natürlich auch sagen, dass diese Taktik jetzt so oft funktioniert hat, dass es das Risiko wert ist. Für mich lagen die Erfolge dieser Systematik aber eher an der Formschwäche der Gegner zuletzt.
In eigener Sache:
Den folgenden Fragebogen habe ich schon mal hier verwendet, ich würde gerne noch weitere Antworten sammeln. Für mich ist es wichtig, direktes Feedback zu bekommen und ich lese es aufmerksam, auch wenn ich vielleicht nicht automatisch das Angesprochene auch umsetze. Noch eine Sache: Vermutlich schaffe ich es nicht, eine Analyse zum Pokalspiel zu schreiben.
Eine gute Woche an alle!
(Alternativer Link fürs Handy: https://survey.lamapoll.de/VfB...)