Mal wieder geht's heiß her auf vereinspolitischer Ebene. Eine kleine Einordnung dazu im VfBlog.
Die Einsetzung des Präsidenten
Claus Vogt wurde in der Vorweihnachtszeit im Jahr 2019 (am 15. 12.) der neue Präsident des VfBs und trat damit die Nachfolge von Wolfgang Dietrich an, der im Juli 2019 nach einer historischen Mitgliederversammlung zurücktrat.
Er setzte sich damit gegen den Chef der Buchhandlungskette "Osiander" (Christian Riethmüller) durch. Zum damaligen Zeitpunkt führten den sportlichen Bereich Thomas Hitzlsperger und Sven Mislintat. Hitzlsperger war im Oktober zum Vorstandsvorsitzenden gemacht worden, nachdem er im Februar als Sportvorstand auf Michael Reschke gefolgt war.
Noch im Dezember folgte auf Bestreben der sportlichen Leitung die Trennung von Trainer Tim Walter, dessen Nachfolge der bis dahin unbekannte Amerikaner Pellegrino Matarazzo zum Jahresende antrat. Bekanntlich stieg der VfB nach einer wechselhaften Saison mit Matarazzo am Saisonende auf.
Der Kontext
Es war eine Zeit des Übergangs. Der stolze Meister von 2007 hatte sich kontinuierlich in den Vorjahren in seine Einzelteile zerlegt. In den Nuller-Jahren hatte der Klub aus Cannstatt 4 Mal einen Platz unter den ersten Vier in der Tabelle belegt, in den Zehnerjahren gelang dagegen nur zwei Mal überhaupt eine einstellige Platzierung (Platz 6 in der Saison 2011/12 unter Labbadia und Platz 7 2017/18 unter Korkut).
Traditionell wurden die Vereinspräsidenten beim VfB Stuttgart mit herausgehobener Bedeutung für das sportliche Geschehen bedacht.
Der zweite Nachfolger Mayer-Vorfelders, Erwin Staudt, stand für den Erfolg der Nuller Jahre und das zunehmende Taumeln nach der Meisterschaft. Mäuser und Wahler hinterließen weitaus weniger große Fußspuren, passend dazu entwickelte sich der Klub zu einer grauen Maus der Liga, jüngere Trainer (wie Kramny, Zorniger oder Schneider) und Pragmatiker an der Seitenlinie (wie Labbadia oder Huub Stevens) prägten das Bild, die Phase mündete in den ersten Abstieg dieser Zeit 2016.
Alles besser werden sollte Wolfgang Dietrich. Mit ihm kam wieder ein massiv präsenter und ebenso selbstbewusster Präsident an die Macht, der den VfB wieder in die Champions League führen wollte. Und entsprechend breitbeinig wurden auch Entscheidungen getroffen, sei es die Ausgliederung 2017 (von über 10 000 Mitgliedern beschlossen, alle Register wurden dabei gezogen) oder wenig später die Verpflichtung von Michael Reschke, der zuvor Kaderplaner bei den Spitzenteams Leverkusen und München war. Am Ende endete die Ära Dietrich dort, wo sie angefangen hatte: In der zweiten Liga und das Investorengeld war schon wieder verschossen.
Der Beginn
Natürlich sollte wieder einmal alles anders werden. Viele Jahre hatten Präsidenten aus der Wirtschaft den Verein geführt. Seit 2014 hatte der Daimler-Mann Wilfried Porth im Aufsichtrat eine einflussreiche Rolle eingenommen. Zwar kamen auch die Kandidaten 2019 aus der Wirtschaft, aber Riethmüller aus dem Familienbetrieb Osiander und Vogt waren keinem der wirtschaftlichen "big player" zuzuordnen.
Speziell bei Vogt (obwohl selbst Unternehmer und lange bei Bosch tätig) stand seine Fannähe im Vordergrund, unterfüttert durch einen von ihm gegründeten Verein. Es schien auch irgendwo nachvollziehbar zu sein, ein paar Gänge runterzufahren nach Jahren der Überhitzung, Fanwut und versenkten Millionen.
Der Haken an der Sache war: Auch wenn die sportliche Führung ausgetauscht wurde, arbeiteten weiterhin viele Führungskräfte der Vorjahre beim VfB. Stefan Heim und Jochen Röttgermann waren weiterhin die Vorstände, u.a. Wilfried Porth im Aufsichtsrat.
Es ging so gut los. Der VfB stieg - wenn auch knapp - auf und spielte frischen Fußball in der ersten Liga mit einem jungen Team um einige wenige Routiniers ergänzt. Gregor Kobel, Borna Sosa, Sasa Kalajdzic, Gonzalo Castro, Wataru Endo oder Nicolas Gonzalez bereiteten uns Fans wieder echte Freude.
Die erste Eskalation
Aber natürlich platzte dann die Bombe. Thomas Hitzlsperger erklärte im Dezember 2020 - also ein Jahr nach Vogts Amtsantritt - die Zusammenarbeit mit dem Präsidenten für gescheitert und kündigte seinerseits eine Bewerbung um das Präsidentenamt an.
Es war ein polarisierender Schritt. Aus zwei Gründen.
1. Die internen Probleme, die Hitzlsperger auf radikale Art beschrieb, waren ein Frontalangriff.
Sie zogen viel Kritik aufgrund des Stils nach sich, obwohl die beschriebenen Sachverhalte in der Sache, sofern zutreffend, verheerend waren.
So monierte Hitzlsperger über Vogt: "In der Gremienarbeit verlierter sich in Details, er führt nicht, er informiert zu wenig, er fällt selten Entscheidungen, er pflegt keinen offenen Austausch und keinerlei Streitkultur. [...] Gerade die in der Corona-Krise unersetzliche Arbeit vieler Kolleginnen und Kollegen im VfB wird jedoch derzeit notorisch untergraben. [...] Hier werden Menschen beschädigt. [...] Im Verlauf der vergangenen Monate hat sich ein Kreis um den Präsidenten gebildet, der seine Ziele in einer Art und Weise verfolgt, die unserem Club massiv schadet."
2. Mit der Bewerbung Hitzlspergers für das Amt des Präsidenten war für einen Teil der Fans die Unabhängigkeit des e.V.s in Gefahr, die man gerade erst von Wolfgang Dietrich zurückerobert hatte. Sollte aus der AG von Hitz heraus der Verein geführt werden, dann wäre der Verein in seiner Macht stark eingeschränkt.
Man muss hier vielleicht etwas ausholen. Wie beschrieben gilt Vogt in Abgrenzung zu seinen Vorgängern als sehr Fan-nah, auch bzgl. der organisierten Fanszene. Zudem hat er einige Gleichgesinnte in den Gremien, zum Beispiel André Bühler, der als Teil des Vereinsbeirats seit 2017 (der zum Beispiel die Präsidentenkandidaten wählt) agiert. Ebenso Rainer Adrion, der als Dietrich-Kritiker von Vogt zum Aufsichtsrat im Jahr 2020 bestellt wurde.
Demgegenüber standen Personen im Klub, wie die genannten Vorstände oder Aufsichtsräte, die noch aus den Zeiten der Präsidenten vor Vogt in ihre Ämter kamen. Hitzlsperger selbst wurde von Dietrich im Verein aufgebaut und war somit mutmaßlich den alten Weggefährten durchaus wohlgesonnen.
Vogt wiederum kämpfte offenbar gegen diese an. Er hatte damit einen relevanten Teil der Fans hinter sich, die rund um den beschriebenen sportlichen Niedergang und die Ausgliederungskampagne sowie die Streitigkeiten mit Ex-Präsident Dietrich einige der genannten Personen kritisch sahen und einen Klüngel ("alte Seilschaften") annahmen.
Diesen Kampf sprach Hitzlsperger in seinem Brief auch an. Vogt hatte eine externe Firma zur Prüfung der Vorgänge rund um die Ausgliederung beauftragt ("Datenaffäre"). "Mit der Autorität der Ämter als Präsident und Chef des Aufsichtsrats hat Claus Vogt jedoch eine Beauftragung ohne Ausschreibung, ohne Kostenschätzung und ohne Projektplan durchgedrückt und bei der Projektleitung die nötige Sorgfalt, Kompetenz und Abstimmung vermissen lassen. [...] Der Profilierungswunsch eines Einzelnen bedroht so die Existenz des ganzen Vereins".
Diese Vorwürfe - teilweise später entkräftet - schadeten Hitzlsperger mehr als sie ihm halfen. Hitzlsperger hatte seine eigene Popularität über- und die Ängste der Vergangenheit unterschätzt. Obwohl der Bericht zur Datenaffäre nie vollständig veröffentlicht wurde, nahm Hitzlsperger die Bewerbung zurück, Röttgermann und Heim mussten gehen, Porth trat zurück. Vogt wurde gegen Steiger wiedergewählt.
Man sollte vielleicht an der Stelle auch nochmal betonen, dass rund um die Ausgliederung tatsächlich verheerende Dinge passierten und Mitglieder manipuliert wurden. Jedoch wurde die Debatte zu der Zeit zunehmend machtbezogen und emotional geführt. Im Endeffekt lässt sich vermutlich sagen, dass kaum jemand unter den Fans traurig war über die Personen, die den Verein verließen zu dem Zeitpunkt, weil sie für die Jahre des siechenden VfBs standen.
Dass Hitzlsperger hier nie wirklich verstanden werden wollte und der eigentlich äußerst beliebte Vorstandsvorsitzende plötzlich wenig wert zu sein schien, ist die bittere B-Note. Die C-Note wäre dann, das Vogt damit wohl einige ihm kritisch gesinnte Personen (dem Brief zufolge wohl durchaus nicht unberechtigterweise) aus den Ämtern bekam und dadurch selbst sehr gestärkt wurde.
3 Jahre später.
Am 12. März 2024 wurde Vogt des Aufsichtsratsvorsitzes enthoben. Damit ist er zwar weiter Aufsichtsratmitglied und Präsident des e.V.s, der Gesamteinfluss aber deutlich geringer, von der symbolischen Bedeutung des Amts ganz zu schweigen. Es kann schon von einer Entmachtung geschrieben werden.
Traurigerweise spricht aktuell kaum jemand über eine Bilanz seiner Arbeit. Diese fällt nämlich durchaus schwer und äußerst mager aus. Positiv gesehen, war Vogt kein medialer Lautsprecher. Sowohl im Erfolg als auch im Misserfolg kamen quasi keine Statements von ihm in der Presse an die Öffentlichkeit und auch Einflussnahmen auf den sportlichen Bereich waren zumindest nicht auf direktem Weg (also durch Entscheidungen von ihm persönlich) getroffen worden, auch wenn natürlich gut möglich ist, dass er auf die Handelnden in der AG intern einwirkt.
Insgesamt ist es aber ein erfreulich unauffälliger Präsident. Das ist aber gleichzeitig der Hauptkritikpunkt seiner Arbeit. Es ist schwer, überhaupt klare Ergebnisse seiner Amtszeit zu beziffern. Es wurden in der Zeit drei Vorstände hinzugeholt (die die genannten Vorstände und später Hitzlsperger, der von sich aus aufhörte), zwei davon (Marketing und Finanzen) spielen in der öffentlichen Wahrnehmung eine geringe Rolle, können aber wohl als ordentliche bis gelungene Personalien angesehen werden.
Der dritte von ihm geholte Vorstand ist Alexander Wehrle, der gleichzeitig Sportvorstand und Vorstandsvorsitzender ist. Wehrle ist hier eine doppelt interessante Person, weil er bereits unter Staudt beim VfB angestellt war. Es wurde also vom neuen Präsidenten wieder jmd. aus den alten VfB-Zeiten zurückgeholt. Und anfänglich bestand der Eindruck und die Befürchtung, dass es in diese Zeiten zurückgehen würde.
Auch Aufsichtsrat Adrion entstammt der Zeit. Labbadia wurde von Wehrle zum zweiten Mal zum Trainer gemacht. Mittlerweile scheinen aber die von Wehrle verpflichteten Hoeneß und Wohlgemuth den sportlichen Bereich abzudecken, und treffen Entscheidungen, die grundsätzlich - wenn auch in abgewandelter Form - eher an Mislintats Zeiten erinnern und weniger an Labbadia, Horst Heldt und Co.
Aber zurück zu Vogt. Wohlwollend kann also vor allem die Personalie Wehrle ihm zugeordnet werden und auch diese war aufgrund von Wehrles VfB-Vergangenheit keine große Sensation. Ansonsten gingen vor allem einige Personen aus verschiedenen Gremien und es kam wiederholt zu Turbulenzen und Streitereien, die über die Presse ausgetragen wurden.
Natürlich kann man das jetzt als eine sehr bescheidene Art der Ausübung des Präsidenten-Amts ansehen, aber es spräche auch für einen - wie von Hitzlsperger behauptet - inkompetenten Präsidenten. Diesem Narrativ folgte auch der Aufsichtsrat, der in der Pressemitteilung zum Wechsel des Aufsichtsratvorstands Vogt die Eignung für das Amt absprach.
Die Sprengkraft
Die Sprengkraft des ganzen Prozesses speist sich aus den Gründen für den Zeitpunkt der Absetzung. Die Absetzung wurde nicht etwa ausgelöst von den bisherigen Aufsichtsratsmitgliedern, sondern von zwei neuen, die natürlich auch die Mehrheitsverhältnisse veränderten. Den beiden Vertretern des neuen Investors Porsche. Trotzdem schloss sich der Großteil der Aufsichtsräte (auch von e.V.-Seite) diesem Antrag an.
Möglicherweise könnte dahinter auch ein erneuter Angriff der früheren einflussreichen Menschen rund um "big player" aus der Wirtschaft (wenn auch mit neuem Personal) stecken, schließlich machte sich Vogt dort keine Freunde. Auch die oft sehr mäßige Bilanz von Investoren in der Bundesliga ohne sportliche Kompetenzen macht nicht wirklich Hoffnung, dass alles professioneller wird, wenn Menschen aus der Wirtschaft die Geschicke leiten.
Aufgrund der großen Zustimmung, die Porsches Plan bei den Aufsichtsräten erhalten hat, spricht aber viel für eine generelle Unzufriedenheit mit der internen Amtsführung des Präsidenten. Ob das eine gute Nachricht ist, bleibt aber abzuwarten. Wichtig wird sein, dass die sich öffnende Lücke nicht wieder von Selbstdarstellern oder von Planlosigkeit ausgefüllt wird.
Der Ausblick
Und irgendwann wird auch zu klären sein, ob das Präsidentenamt (als Haupteigner der AG) oder der Vorstandsvorsitzende die wichtigste Stelle ist. Aktuell sind beide Posten eng miteinander verknüpft und diese Verknüpfung führt schnell zu Konflikten.
Am wichtigsten wäre aber, dass eine neue Diskussionskultur in die Gremien kommt, die Offenheit, Integrität und Respekt beinhaltet. Das Lagerdenken scheint weiter vorherrschend zu sein. Eine Armada aus Menschen aus der Wirtschaft und "Normalos" bestimmt seit Jahren die Geschicke eines Millionenunternehmens - bis zur nächsten Eskalation.
Irgendwie kann das nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Vielen Dank fürs Lesen! Wie immer: Gerne Kommentieren!