Die Eintracht lädt zum Tanz ein, Topspiel samstags um 18.30 und die erste Hälfte ist voller Kuriositäten wie einem Schiri-Kreuzbandriss, einem Kopfballeigentor aus weiter Distanz oder einem zaubernden Maxi Mittelstädt. Die zweite Halbzeit ist dann vor allem eines: Souverän.
Schauen wir uns die Begegnung einmal unter der Lupe an.
Ausrichtung
Sebastian Hoeneß wählte gegen Frankfurt diese Startaufstellung:
Nach dem furiosen 2:1 Sieg gegen den BVB lässt der Coach nach der Länderspielpause die selben elf Spieler von der Leine. Die gegen Dortmund in den Kader zurückgekehrten Spieler Guirassy und Vagnoman bleiben erst einmal draußen, bei Guirassy womöglich auch auf die sogenannte "Belastungssteuerung" zurückzuführen, nachdem er für Guinea noch am Dienstag 90 Minuten auf dem Platz stand. Die in der Länderspielpause angeschlagenen Führich und Millot sind offenbar wieder komplett fit.
Im Laufe der Partie tauscht Hoeneß seine vier offensiven Spieler. In der 60. Minute kommen Vagnoman und Guirassy (für Leweling und Führich), in der 80. Silas (für Undav), in der Nachspielzeit ersetzt Jeong Millot. Interessant: Auf der Bank sitzen vier Spieler, die in dieser Saison schon die rechte defensive Seite bespielt haben (Rouault, Stenzel, Stergiou und Vagnoman). Nicht im Kader somit u.a. Egloff (im Einsatz an diesem Wochenende für die zweite Mannschaft), Milosevic und Massimo (der schon länger keinen Kaderplatz mehr erhält).
Der Spielfilm und taktische Beobachtungen
Halbzeit I
Die Zusammenfassung der Partien ist bei mir im Blog sowieso ausführlicher als üblich, weil oft in den Details die entscheidenden Dinge liegen, die man auch erst beim zweiten Schauen entdeckt. Bei dieser Partie möchte ich noch ausführlicher einsteigen als üblich, weil die kompletten ersten 57 Sekunden in diesem Match bereits ein klares Muster haben, was in der Form so früh ungewöhnlich ist. Im derzeitigen Fußball spielen die meisten Teams direkt einen langen Ball in die gegnerische Hälfte, um das Spiel in diese Hälfte zu verlagern. Nicht so die SGE, die erst einmal von hinten aufbaut.
Es dauert etwas, bis sich der VfB den Ball endgültig nach 45 Sekunden gesichert hat, aber bis dahin spielt sich das Geschehen in der Frankfurter Hälfte ab. Dabei wiederholen sich zwei Dinge: 1. Der VfB verhindert einen erfolgreichen langen Ball (Einer von Stiller geblockt, der zweite wird von Undav und Ito abgefangen - dieser lange Ball sichert dann dem VfB den Ballbesitz). 2. Der VfB gewinnt mehrmals durch Pressing fast oder kurz den Ball (Millot gegen Trapp, Karazor durch Grätsche).
Das Tor selbst ist dann einfach herausragend rausgespielt. Führich und Mittelstädt lösen exzellent links vorne die Situation auf, Millot dreht sich im Zentrum und spielt den Steckpass und Undav schließt unkonventionell im Fallen ab.
Insgesamt aber reagiert die Eintracht selbstbewusst. Die Eintracht zeigt im Folgenden eine ähnliche Spielanlage wie der VfB: Die Abwehrreihe steht sehr hoch und befindet sich der Ball tiefer in der Stuttgarter Hälfte sind viele Spieler in Ballnähe, teilweise stehen schon früh im Spiel sieben Spieler im Strafraum oder an der Kante positioniert, um den VfB zu Ballverlusten oder langen Bällen zu drängen. Dadurch entsteht ein sehr engmaschiges Spiel, ohne längere Ballbesitzzeiten für beide Mannschaften.
Die erste Chance nach 8 Minuten für die Eintracht ist zwar im Endeffekt ungültig, weil der Ball hinter der Grundlinie war, entsteht aber durch einen Durchbruch von Marmoush auf links, Nübel rettet mit einem starken Reflex gegen den Frankfurter Abschluß. Wenig später hat der VfB zwei aussichtsreiche Situationen, die versanden (gute Kontergelegenheit wird von Leweling verzogen; nach einem Freistoß wird Karazor geblockt). Nach 10, 15 Minuten findet das Spiel einen gewissen Rhythmus und die unruhige Anfangsphase lässt etwas nach. Schritt für Schritt findet die Eintracht besser ins Spiel, der VfB ist aber sehr aufmerksam wiederholt. Der VfB spielt in der ersten Hälfte mit Dreier- oder Viererkette, Leweling lässt sich selten nach hinten fallen. Der VfB wird generell deutlich passiver, das agressive Spiel des Beginns ist nicht mehr vorhanden.
Nach 25 Minuten spielt Nübel einen langen Ball in den Fuß der Eintracht, die schaltet schnell um und attackiert mal wieder den Raum neben Anton (Leweling ist vorne positioniert), Max flankt, Anton will den Ball ins Aus köpfen, der Ball senkt sich stattdessen auf perfekte Art und Weise ins eigene Tor. Ausgleich für Frankfurt! Einerseits hatte die Eintracht bis dahin kaum Chancen, andererseits trotzdem nicht unverdient in einem ausgeglichenen Spiel bis dahin, in einer Partie, in der nach der Stuttgarter Führung die Eintracht sehr aktiv ist.
Immer wieder hat der VfB Probleme rechts hinten. Mittelstädt positioniert sich bereits recht früh in der ersten Halbzeit tiefer auf seiner Seite, Leweling lässt sich nach der Verletzungsunterbrechung von Schiedsrichter Brych (33.) dann auch vermehrt tief fallen für die Fünferkette.
Es häufen sich insgesamt in der ersten Hälfte die Mini-Chancen für die SGE (30. Minute: Hereingabe von Knauff kann irgendwie geklärt werden. 38. Flanke von rechten Seite der Frankfurter wird abgefangen. 39. Schuss von Ebimbe im Strafraum geblockt). Schaut man sich die expected goals an, hat der VfB in der ersten Halbzeit 0.89, Frankfurt 0.77 (fotmob.com). Beim VfB verteilt sich das Ganze aber auf 4 Situationen, bei Eintracht auf eine Vielzahl. Durch die guten Positionierungen des VfBs mit vielen Spielern im Strafraum sind keine Hochkaräter der Eintracht dabei.
Am Ende findet der VfB zumindest einige Kontersituationen . In der 42. ist Undavs Flanke auf Führich noch zu unsauber (nach dem er einen Ball von Ito gut sichert). Besser läuft es in der 46.: Undav lässt sich fallen an die Mittellinie und schickt Leweling auf dem rechten Flügel steil. Lewelings weite Flanke legt Führich klug auf Mittelstädt ab, der flankt direkt erneut. Die Eintracht spielt unklugerweise auf Abseits, lässt Undav im Strafraum so aber komplett blank stehen, der zielgenau links unten einköpft! Nach der VAR-Prüfung zählt der Treffer. Erneute Führung für den VfB aus Stuttgart!
Halbzeit II
Deniz Undav gelang in Halbzeit I ein Bundesliganovum: Zwei Treffer in Minute 1 und 45 einer Halbzeit. Fast setzt Undav noch einen drauf: Stiller schlägt nach einen langen Ball und bereits 10 Sekunden nach Wiederanpfiff kommt Undav aus ca. 8 Metern aus recht spitzem Winkel zum Abschluss, dieses Mal allerdings nicht gefährlich genug.
Was dann in den ersten 10 Minuten der zweiten Hälfte folgt, ist nicht weniger als eine Meisterleistung von Hoeneß und Mannschaft. Die Mannschaft stellt nämlich um, und die ersten Minuten sieht Frankfurt überhaupt kein Land: Der VfB mit 73% Ballbesitz, der erste Frankfurter Ballkontakt in der Stuttgarter Hälfte kommt nach über 9 Minuten - hier die Ballberührungen beider Teams in den ersten 10 Minuten:
Was ist passiert? Die Hauptumstellung ist Folgende: Der VfB presst im Mittelfeld mit Stiller und Millot nebeneinander, Karazor positioniert sich dahinter, man hat also im Zentrum ein Dreiermittelfeld, in der vordersten Linie stehen Führich und Undav (statt Millot und Undav). Millot wird also etwas nach hinten gezogen. Das Dreiermittelfeld und speziell Millot/Stiller schieben dann bis an den Strafraum und verkleinern so massiv die Passoptionen. Im Ballbesitz schieben Leweling und Mittelstädt auch nach vorne über die Flügel. Ein Frankfurter wird das besser erklären können, aber die heute gewählte Frankfurter Ausrichtung hat mit dieser Umstellung massive Schwierigkeiten.
Der VfB kommt in der Folge ziemlich schnell zu zwei weiteren recht ordentlichen Chancen (Undav 47., Leweling 48.). Brenzlig wirds für Frankfurt auch in der 53.: Anton schickt Leweling über rechts, der setzt sich stark durch und findet in der Mitte Führich. Führich will Undav bedienen im Fünfmeterraum, die Abstimmung passt aber nicht - da war mehr drin!
In der Folge (vermutlich auch bei Frankfurt Anpassungen, habe ich nicht erkennen können) normalisiert sich die Partie wieder etwas. Im Allgemeinen scheint der VfB die Partie im Griff zu haben, aber Frankfurt kommt mit der Zeit wieder mehr ins Spiel - der erste Schuss in der zweiten Hälfte, kommt zwar erst in Minute 64, ist aber recht gefährlich: Chaibi wird steil geschickt, der VfB spielt auf Abseits, vertut sich dabei aber. Chaibi schließt aus sehr spitzem Winkel ab, der Ball zieht am langen Pfosten vorbei. Auch ein Abschluss von Larsson etwas später von außerhalb des Strafraums geht knapp am Pfosten vorbei (69.). Der VfB ist nun viel und recht souverän im "Wegverteidigungsmodus", steht dabei tief. Frankfurt sucht die Lücke, aber findet sie nicht.
Auch der VfB hat seine Situationen und findet große Räume für Konter, Guirassy dient dabei als Anspielstation, Millot hat Platz auf rechts. Exemplarisch und zum Zunge schnalzen in der 62., also noch vor den Frankfurter Annäherungsversuchen: Nübel spielt geschickt Guirassy an, der nimmt den Ball an, dreht sich und schickt Millot über rechts auf die Reise, die Hereingabe passt dann aber nicht richtig für Serhou.
Brenzliger auf der Stuttgarter Seite wirds erst in der Schlussphase, es wird jetzt aus Gründen der Müdigkeit etwas wilder: Shkiri chippt den Ball in den Strafraum, Ebimbe setzt sich erst gegen Ito an, Mittelstädt und Zagadou kommen dann irgendwie dazwischen. Wie so oft scheint die Taktik zu sein, einfach im Strafraum auch auf die Aufmerksamkeit und vielen Beine der Verteidiger zu setzen und so mit etwas Glück einfach keine guten Abschlüsse zuzulassen.
Auf der anderen Seite hat dann Guirassy das 3:1 auf dem Fuß! Anton spielt Millot an der Mittellinie an, der spielt virtuos mit Raum und Zeit, drei Ballkontakte reichen... und schon läuft Guirassy auf Trapp zu. Trapp bleibt lange stehen, Guirassy hebt den Ball... und der hoppelt am Tor vorbei.
Die große Schlussoffensive der Eintracht bleibt aus, gegen das enge Netz des VfBs findet das Team keine Lösungen, im Gegenteil, Guirassy und vor allem Silas (85.) haben die Chancen zum 2:1. Silas wird dabei von Guirassy an der Kante des Fünfmeterraums angespielt und... vergibt ebenso.
Im Gegensatz zur ersten Hälfte läuft der VfB bei tiefem Frankfurter Ballbesitz aber weiter hoch und agressiv an, lässt sich erst später dann tief fallen. Nach 6 Minuten Nachspielzeit pfeift der (eingewechselte) Schiedsrichter ab: Es ist vollbracht, der VfB SIEGT.
26. 11. 2023 | 12. Bundesliga-Spieltag 2023/24
Eintracht Frankfurt - VfB Stuttgart 1:2 (1:2)
0:1 Undav (1.)
1:1 Anton (26.)
1:2 Undav (45. +1)
2 Dinge, die auffielen
1. Tough nut to crack & einige Kuriositäten in der 1. Hälfte
Frankfurt präsentierte sich als neben Leipzig bisher stärkster VfB-Gegner (Wolfsburg könnte man auch noch ähnlich einordnen.) Man merkte den Frankfurtern ihre gute Form an (11 von 15 Punkte zuletzt in der Bundesliga).
Die erste Halbzeit ist voller Widersprüche: Eine Hälfte, in der Frankfurt deutlich mehr vom Spiel hat, regelmäßig über die Flügel durchbricht, aber doch kaum echte Torchancen produziert - während der VfB zwei Tore schießt, auch noch zu den speziellsten Zeitpunkten. In der einerseits Frankfurts Gegenpressing den VfB ziemlich fordert, der VfB aber selbst aus dem Gegenpressing heraus den ersten Treffer erzielt. Der VfB auch insgesamt untypischerweise weniger Ballbesitz als Frankfurt hat. Und dann noch ein ungewöhnliches Eigentor fabriziert und trotzdem führt. Dazu kam noch die Vorgeschichte der Partie mit der Eskalation zwischen Polizei und Frankfurter Fans, die auf den Support verzichteten. Oder der Kreuzbandriss von Schiri Brych mitsamt Ersatzschiri-Einsatz.
Sicherlich war es der Matchplan, am Anfang so drauf zu gehen. Aber dass es so gut aufgeht - ist das Zufall? Oder ist es doch Können, wenn man sich anschaut, wie stark das Gegenpressing in diesen 53 Sekunden umgesetzt wird, wie herausragend Mittelstädt und Millot dann das Tor vorbereiten? Wie auch immer man diese Fragen beantwortet, es hat geholfen, dass die beiden Tore zu diesen Zeitpunkten fielen und der VfB so die meiste Zeit der Partie in Führung war.
2. Souveräne Vorstellung in der zweiten Hälfte, Pressing & etwas Staunen
Der Führungstreffer kurz vor der Halbzeit war sicher psychologisch wichtig. Praktisch noch wichtiger war meines Erachtens die unheimlich effektive Umstellung in der Halbzeit. Das zentrale Dreiermittelfeld im Gegenpressing hat wie beschrieben Frankfurt vollkommen aus der Balance gebracht, 10 Minuten zeigt der VfB der SGE völlig die Grenzen auf. Auch der zweite Teil der Umstellung, die jetzt endgültig defensive Fünferkette raubt den Frankfurtern den Großteil der offensiven Räume. Wäre der VfB nicht so gut in Form oder hieße der Gegner FC Bayern, hätte es vermutlich irgendwann geklingelt, aber so hält die Defensive in der zweite Hälfte den Laden dicht und lässt kaum etwas zu (expected goals zweite Hälfte: 0.12 Frankfurt, 1.39 VfB Stuttgart (fotmob)).
Keine Ahnung, woran es liegt, dass Hoeneß' Ideen immer so perfekt umgesetzt werden. Sicherlich muss er gut in der Vermittlung sein, aber seine Spieler passen ganz offensichtlich auch sehr gut zu den Ideen, die Mannschaftschemie passt usw. usw. usw. Man kann ins Schwärmen kommen. Heute gelingt der Sieg, ohne dass Guirassy ein größerer Faktor dafür ist.
To be mentioned
- Vertragsgeschichten
Neben den Guirassy-Gerüchten gehts ja durchaus heiß her aktuell unter den Fans, wenn es um die Vertragsverlängerungen von Führich, Millot und Anton geht. Aus meiner Sicht sollte man sich - sofern die Spieler bereit sind - unbedingt um Vertragsverlängerungen bemühen, die weiterhin aber Absprachen beinhalten, dass Spieler bei hochdotierten Angeboten usw. den Verein auch verlassen dürfen. Der VfB sollte seine Gehalsstruktur nicht kaputt machen, aber ist gut damit gefahren, einerseits langfristige Verträge zu haben, andererseits den Spielern keine Steine in den Weg zu legen, sofern das richtige Angebot kommt. Die Zeiten der ewigen Vereinstreue sind meistens vorbei und oft auch für den Verein gar nicht bezahlbar. - Toppmöller
Ich fand sehr eindrucksvoll, was die Eintracht spielt. Gerüchten zufolge war Toppmöller ja auch einer der Trainer, die von Mislintat und Wehrle nach der Trennung von Rino kontaktiert wurden und sofern das so war, hätte das sehr gut passen können. Wirklich starke, interessante Herangehensweise. Mutig, gut taktisch eingestellt, starke Strafraumbesetzung und generell sehr hoch stehend. Durchaus einige Parallelen zum Hoeneß, der aber - tja - das Trainerduell für sich entscheidet. - Bredlow-Verlängerung
Super Entscheidung!