Wo haben sie diese Leistung hergenommen? Der VfB geht etwas glücklich per Elfmeter in Führung und brennt anschließend ein Feuerwerk ab. Von Verunsicherung nach zwei Auswärtspleiten keine Spur. Der auf Rosen gebettete Bundesliga-Konkurrent aus Leipzig hat wohl selten so schlecht ausgesehen gegen eine Mannschaft aus der Bundesliga, die nicht Dortmund, Bayern oder Leverkusen hieß. Einfach geil!
Ausrichtung
Im Vergleich zur ärgerlichen 1:0-Pleite in Bochum gibt es einen Wechsel: Karazor fehlt aufgrund der fünften gelben Karte. Millot rückt auf die 6, Leweling in die Sturmspitze und Rouault in die Startformation.
Erst spät, aber dann doch fünf Mal wird gewechselt: Di Benedetto und Massimo kommen für Millot und Leweling (84.) sowie Stergiou und Stenzel für Millot und Undav (87.). Am Ende betritt auch Milosevic mal wieder den "heiligen Rasen" (90., für Führich).
Spielfilm und einzelne Situationen unter der Lupe
Halbzeit I
Die Partie beginnt recht ausgeglichen. Stuttgart mit kleineren Ballverlusten, Leipzig aber ungefährlich. Recht schnell findet der VfB dann zu der gewohnten Spielweise, wirkt aber auch gesund agressiv, aufmerksam und zielstrebig. Durch Millots neue Position ist defensiv im Aufbauspiel noch mehr Spiel- und Passstärke gegeben.
Die Dreierkette sorgt für ein verdichtetes Zentrum und stellt den Strafraum zu bei Leipziger Angriffen. Im Pressing schieben Vagnoman und Mittelstädt auf ihren Positionen nach vorne, sobald der Ball über den Leipziger Flügel nach vorne getrieben wird. Generell sind vor allem im Konter über die Flügel des VfBs durchaus Räume vorhanden, Leipzig tut sich aber schwer damit, diese zu nutzen.
Ein großer Unterschied zwischen beiden Teams in der Anfangsphase: Leipzig wirkt im Ballbesitz anfällig für Gegenpressing, unsauber, bisweilen ziellos. Der VfB dagegen überlegt und sicher. Ansonsten sind in der Anfangsphase die Spielweisen ähnlich, beide Teams sind aktiv, aufgerückt, streben Durchbrüche an. Die Unterschiede sind in den Details.
Immer wieder bringt das Pressing VfBs Leipzig im Spielaufbau unter Bedrängnis, die teilweise hilflos den Ball nach vorne schlagen: So z.B. in Minute 11 und 12 kurz hintereinander. Anschließend behält der VfB den Ball in den eigenen Reihen und gibt ihn für 90 Sekunden nicht ab - bis dann die Tennisbälle aus Protest das Spiel unterbrechen.
Insgesamt ist die Anfangsphase aber chancenarm. Ein abgefälschter Schuss von Mittelstädt nach 22 Minuten ist erst der zweite Torschuss der Partie. Die folgende Ecke schlägt Stiller auf den langen Pfosten: Dort ballen sich die drei Stuttgarter Innenverteidiger, Zagadou setzt sich robust durch! Sein Kopfball geht an die nach oben gespreizte Hand (m. E. eine natürliche Bewegung aber dem Regelwerk nach verboten) des Leipzigers - Elfmeter! Und unser Zauberfuß Millot tritt an, wirkt sehr ruhig, guckt Blaswich aus und schiebt ihn platziert links unten ins Tor! Führung! (25.)
Das Tor wirkt als die Dosenöffner für die Partie, der VfB jetzt mutig und Spielfreude, Leipzig verunsichert mit einigen Ballverlusten. So auch in der 28. Minute als Klostermann einen äußerst schlechten Pass auf seinen Kollegen Lukeba an der Mittellinie spielt, welcher den Ball versucht im Spiel zu halten, aber dadurch Undav bedient, der schlau anläuft. Am Ende kommt Führich nicht mehr in eine gute Schussposition, aber der VfB hat Oberwasser (Abschlüsse Führich, Millot, Undav in kurzer Abfolge in dieser Phase).
Fast schon folgerichtig dann tatsächlich das 2:0 in der 30. Minute: Rouault schiebt aus der Dreierkette nach vorne auf Olmo und erobert und behauptet den Ball fantastisch. Über Führich geht der Ball zu Undav, dessen Pass auf Leweling wird von Lukeba unfreiwillig zurückgespielt, Undav nimmt den Ball aus 18 Metern unkonventionell direkt und perfekt platziert aufs lange Eck, links unten!
Doch die Freude währt nur kurz, direkt danach kommt Leipzig zur Ecke. Raum schlägt sie mittig vors Tor, direkt zwischen Anton und Zagadou. Dort steigt zwischen den beiden Sesko hoch und köpft ein. 2:1 nur noch.
Die Partie beruhigt sich danach. Die nächste Chance hat Mittelstädt (37.) mit einem Fernschuss, zuvor erneut ein haarsträubender Fehlpass der Leipziger. Kurz danach: Vagnoman knapp über den Kasten (41.). Leweling ist plötzlich kurz vor dem Tor völlig frei, nachdem ihm Klostermann völlig wild den Ball auflegt (45+3).
Auch die Ecken sind heute fast alle grundsätzlich gefährlich, offensiv ist der VfB wie verwandelt zielstrebig unterwegs. So sammelt der VfB in der ersten Hälfte 1.42 expected goals, während Leipzig auf 0.29 komt (fotmob.com). Die 2:1 Führung geht also völlig in Ordnung.
Halbzeit II
Zum Einrahmen sind dann die ersten 148 Sekunden der zweiten Halbzeit (bis zum 3:1-Treffer). In diesen knapp über 2 Minuten kommt nicht etwa ein hochmotiviertes Leipzig aus Kabine - nö. Der VfB dominiert mit Ballbesitz die Partie. Führich vernascht mal eben seine Gegenspieler. In diesen 148 Sekunden hat der VfB 90 Prozent Ballbesitz, Leipzig hat 8 Ballkontakte, der VfB 38. Jedes Mal wenn Leipzig mal den Ball hat, ist er direkt wieder weg. Das ist überragend für den VfB und bezeichnend für die Leipziger.
Das Tor fällt folgendermaßen: Aktivposten Führich läuft über links an den Strafraum ran, zieht dann mit schnellem Antritt an die Grundlinie. Der VfB hat die Fünfmeterraumlinie mit drei Spielern besetzt, der hinterste von ihnen (Vagnoman) bekommt die Flanke, legt per Kopf auf Leweling ab und der drückt ihn artistisch an Blaswich vorbei in die Maschen. Toor!
Nach der erneuten 2-Tore-Führung beruhigt sich die Partie, beide Mannschaften mit Spielanteilen aber ohne größere Chancen. Doch dann fällt der erneute Anschusstreffer, wieder ziemlich aus dem Nichts. Olmo löst sich geschickt im Mittelfeld, spielt Openda an, der läuft Richtung Strafraum und mit seiner individuellen Klasse schließt er dann noch außerhalb des Strafraums den Konter ab, der Ball schlägt rechts im Eck ein. Nübel kann ihn nicht mehr entscheidend ablenken (55.).
Der VfB reagiert sofort. Kurz ausgespielte Ecke zwischen Stiller und Führich. Doppelpass zwischen den beiden. Führich flankt von halblinks mittig vors Tor, Undav wird dort alleine gelassen. Kopfball aufs kurze Eck. 4:2. Ausgelassene Freude beim Team!
Danach beruhigt sich das Spiel. Rouault mit top Leistung gegen Dani Olmo. Ab der 67. beginnen bei Leipzig die Wechsel, beim VfB erst in der Schlussphase. Insgesamt ist Führich wieder und wieder Aktivposten. Insgesamt gelingen ihm heute 4 von 5 Dribblings, 5 von 7 Zweikämpfen, er hat 88% Passquote und mehr Ballkontakte als alle Leipziger mit Ausnahme deren vier Verteidiger (Daten: whoscored.com/fotmob.com).
Die Sahne auf der Torte stellt für den VfB und Deniz Undav dann folgende Situation dar: Freistoß mittig aus etwa 30 Metern. Undav legt den Ball zum Freistoß hin. Spricht kurz mit Stiller. Läuft dann langsam Richtung Strafraum am Ball vorbei, unbeobachtet. Stiller legt sich den Ball nochmal zurecht. Der Rest der Spieler zieht eher nach links. Undav ist mittlerweile nur noch 25 Meter vom Tor entfernt und dort völlig alleine. Plötzlich blitzschnell hebt Stiller den Ball zu ihm, ein Leipziger bleibt in Rouault hängen und Undav hat geschätzte 8-10 Meter Radius um sich herum ohne Gegenspieler. Zieht in den Strafraum, nimmt den Abschluss, Blaswich wehrt nach vorne ab, zweiter Abschluss dieses Mal mit links und dann klingelt's: 5:2! Wieder Deniz Undav!
VfB Stuttgart - Leipzig 5:2
2 Dinge, die auffielen
1. Respekt!
Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Was für ein beachtlicher, sauberer und reifer Auftritt gegen den Champions League-Aspiranten mit dem Brause-Sponsor! In diesem Spiel passt bis auf die beiden Gegentore (wobei eines davon auch vor allem durch die individuelle Klasse begründet ist) fast alles.
Die Mannschaft ist präzise im Passspiel und in den Zweikämpfen, spielt offensiv zielstrebig und im Ballbesitz clever, bisweilen elegant. Individuell fällt quasi keiner ab und fast jeder in einzelnen Situationen auf. Wow!
Wie diese Steigerung nun wirklich zu erklären ist, das ist schwer zu beurteilen nach dem Spiel. Einige Faktoren haben mit Sicherheit geholfen: Die günstige Entstehung des Elfmeters zum 1:0. Die eigene Kulisse in der Arena. Die verunsichert auftretende Mannschaft aus Leipzig, die ebenfalls zuvor zwei Mal verlor. Eine klug gewählte Taktik mit Dreierkette und herausrückenden Verteidigern im Zentrum. Stark verbesserte Standards.
Ein mitspielender Gegner. Möglicherweise auch Enzo Millot auf der 6, trotz vieler guter Spiele von Karazor in dieser Saison. Vielleicht auch einfach der Fakt, dass man ein paar Spiele bereits wieder in den Knochen hat und so langsam der Rhythmus kommt. Definitiv aber eine von Hoeneß gut eingestellte Truppe, in der die Rückschläge augenscheinlich angemessen verarbeitetet wurden.
2. Momentaufnahme und Ausblick
Nach der Partie gegen Gladbach habe ich die Sorge geäußert, dass im Januar sich die Ausgangslage verschlechtern könnte. Die Gefahr dafür stieg mit dem Bochum-Spiel an. Wo auch immer diese Leistung nun herkam - fürs Erste können wir uns mal entspannen. Die beiden Spiele waren nicht schlecht und das Bochum-Spiel wäre ohne die groteske Pause wohl auch nicht verloren gegangen. Aber meine Sorge war, dass zum Rückrundenstart eine Negativ-Dynamik nach der Winterpause eintreten könnte.
Der besonnene Umgang mit den beiden Niederlagen und die selbstbewusste Leistung an diesem Wochenende zeigen, dass die Mannschaft erneut ein ganzes Stück weiter ist, als man befürchten konnte. Man scheint das Leistungslevel insgesamt zu verstetigen, also nicht mehr regelmäßig in alte Fahrwasser zu kommen, selbst wenn mal ein schwächeres Spiel kommt, wie es in Phasen in beiden vorherigen Partien ja der Fall war.
Man hört es vielleicht raus, dass ich selbst noch etwas am Schwanken bin, wie ich diesen Re-Start jetzt kategorisieren soll. Deshalb mal der Blick nach vorne, ganz praktisch gesehen. Wenn nun ein Auswärtssieg folgt, dann besteht der Vorsprung auf Rang 7 aus 12 Punkten. Das wäre schon beachtlich bei dann noch ausstehenden 14 Spielen. Es wäre ein weiterer kleiner Schritt, aber ein relevanter.
Und was man auch aus diesem Spiel ziehen kann: Wenn so eine Leistung selbst nach zwei Niederlagen und ohne Guirassy möglich ist, dann hat der VfB gegen jeden Gegner in der Bundesliga (außer vielleicht den Bayern) eine Chance. Auch ein Weiterkommen im Pokal in Leverkusen ist möglich.
// To be mentioned
--- Di Benedetto mit dem Bundesliga-Debüt! Herzlichen Glückwunsch! --- Guirassy und Silas im Viertelfinale im Afrika-Cup! --- Milosevic darf endlich auch mal wieder ran! --- Keitel als erster Neuzugang für Juli feststehend --- Erster Bundesliga-Sieg dieses Jahr ohne Guirassy! (nehmt das, Bruno Labbadia-Verteidiger..)
Abschließend:
Eine gute Woche an alle!