Nov 19, 2023

11. Spieltag: Everything's alright



Nach dem 11. Spieltag und einem Drittel der Saison lässt sich konstatieren: Alles ist gut. So auch gegen den BVB, wo der VfB 4.39 expected goals ansammelt und trotzdem erst spät den hochverdienten Dreier sichert, den BVB aber in manchen Aspekten quasi deklassiert.


Schauen wir uns die Begegnung einmal unter der Lupe an.


Ausrichtung

Sebastian Hoeneß wählte gegen Dortmund diese Startaufstellung:



Im Vergleich zur 0:2 Niederlage in Heidenheim in der Vorwoche nimmt Hoeneß 3 Veränderungen vor. 2 davon betreffen die Positionen, auf denen es zuletzt immer wieder Wechsel gab: Leweling bekommt die Chance von Beginn an, anstelle von Silas. Mittelstädt spielt für Rouault, dafür schieben die anderen (Innen-)Verteidiger in der Abwehrreihe durch. Zudem ist Millot wieder zurück nach einer Abstinenz aus persönlichen Gründen, Jeong hatte ihn eine Woche zuvor vertreten.

Nach 66 Minuten gibt es beim Stand von 1:1 zwei Wechsel: Comeback von Vagnoman und Guirassy (Führich geht angeschlagen raus, Leweling ist der zweite Auswechsler). In der 77. kommt Silas für Undav, in der Schlussphase kommen Jeong und Stergiou für Millot und Mittelstädt (88.); es steht bereits 2:1.

Der Spielfilm und taktische Beobachtungen


Halbzeit I

Das tabellarische Spitzenduell am Samstagnachmittag (klingt doch gut, oder?) startet auf gutem Niveau, beide Mannschaften sind an der Spielgestaltung interessiert. Die ersten beiden kleineren Situationen hat der VfB: In der zweiten Minute findet Anton bei einer Kopfballablage nach Freistoß keinen Mitspieler, Führichs Fernschuss geht danach vorbei. In der vierten Minute zeigt sich Undav mit einer frechen Balleroberung, Dortmund kann gerade noch so einen Konter verhindern. Auch wenn es in den ersten 10 Minuten ein ausgeglichenes Spiel ist, macht das VfB-Spiel den viel ausgereifteren, strukturierteren Eindruck.

Mitten hinein in die Kennenlernphase des Spiels kommt dann eine Situation in der 10. Minute: Özcan spielt im Konter einen sehr unsauberen Pass in Richtung Brandt auf die rechte Dortmunder Seite. Dessen linke Seite ist dadurch frei, der VfB verlagert sauber über Karazor auf Anton, Anton findet Undav perfekt zwischen den beiden Innenverteidigern im Konter und wird von Kobel zu Fall gebracht. Die frühe Chance zur Führung vergibt dann aber Führich aus elf Metern! Schwacher Schuss rechts unten, den Abpraller erreicht kein Stuttgarter mehr so richtig.

Taktisch hat sich Hoeneß etwas einfallen lassen gegen den BVB. Er wählt eine sehr flexible Formation, die davon profitiert, dass seine Spieler so flexibel sind: Ito und Anton können je nach Situation innen oder außen verteidigen (sofern Anton eben nur punktuell sich miteinschaltet und nicht den Dauerflügelläufer spielt), Mittelstädt und (interessanterweise) Leweling können beide mit ihrem Tempo hinten und vorne links agieren. So ergibt es sich, dass der VfB mal mit Dreierkette, Viererkette (Mittelstädt oder Leweling mit hinten) oder Fünferkette spielt, und bei einem sich anbietenden Konter über außen blitzschnell umstellen kann. Noch ergänzt wird das Ganze durch Millot, der wie gewohnt mal rechts und mal links mitwirkt.

Richtig brenzlig wirds für die Dortmunder Mannschaft erst wieder in Minute 20: Der VfB stellt einen Dortmunder Einwurf mit 8 Spielern zu (inkl. Anton und Zagadou), Ryerson wirft unsauber ein. Anton köpft in den Lauf von Undav, wieder zwischen die beiden Innenverteidiger. Die erobern erst den Ball, Undav kommt aber doch aus spitzem Winkel zum Abschluss, den Abpraller legt sich Millot zurecht, scheitert aber mittig an Kobel. Insgesamt sind es relativ ausgeglichene erste 20 Minuten (53% Ballbesitz für Stuttgart), in denen aber Torgefahr nur vom VfB ausgeht und das 1:0 mehrmals in der Luft liegt.

Der VfB übernimmt nun zunehmend das Zepter (60% Ballbesitz zwischen 20. und 35. Minute) und kommt zu drei Undav-Chancen innerhalb weniger Minuten (22., 24. und 25.). Zunächst sind es Führich und Mittelstädt, die Dortmund durcheinander wirbeln, Undavs Abschluss im Fünfmeterraum blockt Schlotterbeck im letzten Moment. Dann setzt er sich (abseitsverdächtig) im Konter schlitzohrig gegen Hummels durch, scheitert aber zu mittig an Kobel. In der letzten Sequenz hat Leweling eine spektakuläre Einzelleistung: Er erobert den Ball mutig an der Mittellinie, wird von Karazor geschickt und überläuft die komplette Dortmunder Defensive, seine Flanke erreicht Kobel gerade so vor Undav im Luftduell mit der Faust.

Ähnlich läuft es in der 31.: Im eigenen Drittel gewinnt Leweling ein Kopfballduell, zündet dann von hinten rechts den Turbo und bekommt ihn am Fünfmeterraum wieder - und schießt Kobel lasch an aus kurzer Distanz. In der 32. und 35. Minute hat Dortmund bereits Räume, die sie dort aber jeweils nicht nutzen. Anders in Minute 36: Bereits zum zweiten Mal hat Nmecha Stiller auf die andere Seite gezogen und dadurch einen Raum für Sabitzer geöffnet (auch weil Karazor den Raum nicht schließt), Sabitzer spielt raus auf Ryerson, Zagadou geht die Flanke durch die Beine und Füllkrieg schiebt seelenruhig zur fast schon tragischen Führung ein.

Der VfB muss sich offenbar kurz schütteln, gewinnt aber ein paar enge Zweikämpfe und holt sich meinem Eindruck nach über die Passsicherheit das Vertrauen zurück (dazu später noch mehr). Und dann kommt die 42. Minute, plötzlich steht es 1:1 und das geht so: 40:49 kommt Ito nach einem Dortmunder Ballverlust an den Ball. Exakt 60 Sekunden spielt der VfB sich den Ball hin und her. Dann ist es wieder Ito: Langer Ball auf Leweling rechts vorne, der setzt sich allein gegen Bensebaini durch, Schlotterbeck attackiert ihn, dadurch wird der nachrückende Undav frei - und dieser schiebt links unten ein! Ein Hoch auf das Stuttgarter Passspiel! 1:1.

Was sich step by step in der Partie entwickelte zeigt sich in der Schlussphase der ersten Hälfte in voller Pracht: Der VfB dominiert Dortmund. Kurz vor dem Halbzeitpfiff dann fast die Führung (45 +5). Wieder hat der VfB fast 60 Sekunden lang den Ball ohne dass ein Dortmunder dazwischen kommt, dann setzt sich Millot zentral gegen drei Mann durch, wird kurz darauf per Flanke am Fünfer wiedergefunden - und zum zigten Mal rettet nur noch Gregor Kobel.


Halbzeit II

Zu Beginn dominiert der VfB zwar den Ballbesitz, aber die Lücken vor dem Tor müssen erst wieder gefunden werden (Dortmund auch mit zwei Wechseln in der Pause). Aber dann kommt Führich durch: Stiller mit dem langen Ball auf Undav, der nimmt Führich mustergültig mit, läuft in den Strafraum ein und will den Ball an Kobel vorbei ins lange Eck schieben, verpasst aber knapp den Kasten (54.). Aus meiner Sicht ärgerlich, aber wirklich gut gemacht (auch von Kobel). Auch wenn die Torchancen sonst fehlen, der VfB dominiert, lässt den Ball laufen, sucht die Schnittstellen, überlädt den linken Flügel und lässt nichts zu (71% Ballbesitz in den ersten 15 Minuten der Halbzeit II).

Doch dann - fast aus dem Nichts, aber komplett kannst du den Gegner eben nicht kontrollieren, wenn er so viel individuelle Qualität hat - scheppert plötzlich das Aluminium. Ito köpft eine Flanke raus, Brandt spielt Sabitzer im Strafraum an, der dreht sich und zieht seitlich im Strafraum ab - und der Ball hoppelt an den Pfosten (62.). Vermutlich wäre Nübel da gewesen. Der VfB zieht sich nun auch mal zurück und wirkt müder, wenig später dann der Doppelwechsel mit den beiden Comeback-Spielern Guirassy und Vagnoman. Die Partie geht in die heiße Phase.

Die beiden Einwechsler stehen da im Mittelpunkt der nächsten Szene (75.). Stiller spielt flach an der Strafraumgrenze Guirassy an, der legt zauberhaft auf Vagnoman ab, dessen Schuss gerät aber zu ungefährlich für einen Treffer. Das Spiel jetzt mit weniger Tempo als in Hälfte 1, der VfB dominant und gefährlicher und meist mit dem Ball, generell aber wenig Chancen und beide Mannschaften zurückgezogener bei gegnerischem Ballbesitz. In der 78. findet "Tausendsassa" Millot mit Auge Vagnoman im Strafraum, der wieder ungeschickt im Abschluss, in der 79. Gefahr nach einer Ecke.

Immer wieder hat der BVB nun schon Situationen, wo eigentlich etwas möglich wäre, aber defensiv gelingt den Stuttgartern irgendwie an diesem Tag so gut wie alles, immer wieder kriegen sie einen Fuß oder ein Körperteil gegen müde wirkende BVBler zwischen Gegner und Ball.

Die spielentscheidende Szene beginnt in ebenso einer Verteidigungssituation, Anton, Karazor und Millot überbrücken dann schnell das Mittelfeld, und Millot schickt Silas (der hängende Spitze spielt) auf die Reise und Kobel erwischt ihn, aber nicht den Ball. Geschickt von Silas gemacht! It's Guirassy-time! Mit jedem Selbstverständnis ballert er den Ball ins linke Eck! 2:1.

In der Schlussphase lassen die Cannstatter nichts mehr anbrennen und verteidigen engagiert und souverän den 8. Sieg der Saison.



11. 11. 2023 | 11. Bundesliga-Spieltag 2023/24

VfB Stuttgart - Borussia Dortmund 2:1 (1:1)
0:1 Füllkrug (36.)
1:1 Undav (42.)
2:1 Guirassy (83.)


3 Dinge, die auffielen


1. Ein Klassenunterschied im Ballbesitzspiel gegen müde Dortmunder

Noah Platschko hat den Erfolg des VfBs diese Saison bei Bohndesliga folgendermaßen erklärt (8. Spieltag): "Ganz simpel gesprochen [...]: Die haben Passen geübt.". Man mag das jetzt so oder so formulieren, aber sie können definitiv ganz schön gut passen diese Saison. Von Guardiola heißt es, dass bei ihm jeder Pass einen Sinn und Zweck haben muss. Genau diesen Eindruck hat man auch beim Beobachten des VfBs. Das bedeutet nicht, dass jeder Pass für Gefahr sorgt. Oft ist es eher Ballsicherheit oder das Verlagern (s. Brighton-Anleihen auch) - aber am Ende kommt etwas dabei raus. Was nicht zuletzt an der hervorragenden technischen Fähigkeiten der Spieler liegt (z.B. Millot, Stiller, Ito, Zagadou).

Ganz anders der BVB: Ballbesitz ist hier nicht der Sinn, Ballbesitz scheint eher ein nicht zu vermeidendes Übel sein, um irgendwie vors Tor zu kommen. Es waren aus meiner Sicht die langen Ballbesitzphasen, die Dortmund den Zahn endgültig gezogen haben und so auch mit müderen Beinen in der zweiten Hälfte ein Erstarken des BVBs verhinderten. Als scheinbares Topteam so viel hinter zu laufen und kaum Ballkontakte im Strafraum zu erreichen, zeigt auf welchem Level der VfB hier agiert. Es ist auch ein anderer Ballbesitzfußball, wie er das letzte Fußballjahrzehnt geprägt hat: Der Ball läuft teilweise auch viel hintenrum und lange Bälle auf schnelle Spieler (heute Leweling und Silas) sind ein wichtiges Stilmittel.

Vor der Partie war die Rede von einer Mini-Krise in Stuttgart. Interessanterweise konnte man den Eindruck gewinnen, dass einer der möglichen Hauptgründe für das Heidenheim-Spiel, nämlich die anstrengende englische Woche, dieses Mal den VfB enorm profitieren ließ. Während Dortmund wohl eher mit 80% ins Spiel ging, hatte der VfB sich laut Honeß vorgenommen, genau das auszunutzen und über die Aggressivität und Entschlossenheit Dortmund zu lähmen, ganz so wie es im Laufe des Spiels gegen Heidenheim immer wieder gelang.


2. Statement-Spiel Leweling

Ich calle es. Viele raufen sich die Haare, aber schaut euch nochmal einige Szenen genau an (z.B. 12., 35., 21.). Was Herr Leweling dort abliefert, ist brutal. Das ist ganz offensichtlich die perfekte Position für ihn, wenn er als rechter Wingback agieren kann, dann kommen seine Abschlussschwächen nicht ganz so problematisch heraus, sein Speed im Antritt, seine Zweikampfstärke und Geradlinigkeit aber umso mehr. Lange war mir nicht so klar, was ihn jetzt abhebt aus dem gehobenen Bundesligamittelfeld, aber wenn er regelmäßig solche Spiele abliefert, evtl. wieder auf dieser Position, dann ist das eine weitere absolute Waffe im Spiel. Interessant im Übrigen auch, dass sein sogenanntes "Skill-Set" damit Vagnoman ähnelt, der allerdings ruhiger und abschlussstärker normalerweise agiert.


3. Monsterabwehr & Wackelsturm

Während die Abwehr wahnsinnig gut den Rest des Teams absicherte, und in einer hervorrangeden Abwehrreihe eigentlich jeder hervorgehoben werden kann (Ito mit dem Traumpass vor dem 1:1, Mittelstädt wie schon gegen Heidenheim als Flankenläufer und defensiver Stabilitätsspieler, Anton mit dem Traumpass vor dem ersten Elfer) ist Zagadou nochmal stärker gewesen für mich als die anderen. Zagadou ist quasi ein Magnet mit dem Ball, ob in der Luft oder am Boden, alles in ein bis zwei Metern um ihn, wird von ihm quasi angezogen. Die übrigen "goofy moments" wie vor dem 0:1 - die tun weh, aber so ist es eben.

Offensiv ist es weiterhin dagegen nicht ganz ideal. Millot ist immer für ein Tor gut, Undav ebenso. Aber danach? Führich hat seine Momente. Der Rest ist leider wirklich nicht gerade mit dem Killerinstinkt vor dem Tor ausgerüstet. Vllt. sollte die Mannschaft im Winter nicht nur "Passen üben", sondern auch mal "aufs Tor schießen üben". Oder Guirassy muss es eben richten im Notfall?




To be mentioned



  • Standards.......

    In fast allem war es ein Topspiel. In einer Kategorie leider nicht: 6 Ecken und einige gute Freistoßpositionen wurden teils erbärmlich ausgespielt. Waren in der Anfangsphase unter Hoeneß die Ecken noch eine VfB-Stärke, sind wir m.E. heute und mit den defensiven Aktionen gegen Heidenheim in der Woche zuvor am Tiefpunkt angelangt.


  • Der VfB hat wieder einen Hildebrandt

    Stephan Hildebrandt wird der Nachfolger von Thomas Krücken im NLZ als Leitung. Bisher ist wenig bekannt zu den Hintergründen. Seine Vita wirkt erst mal nicht wahnsinnig spektakulär (war in Katar in der Jugendakademie in leitender Funktion und lange beim HSV im NLZ aktiv). Die Fußstapfen sind groß und ich hoffe sehr, dass der eingeschlagene Weg der letztenden Jahre der ständigen Innovation nicht verlassen wird. Aktuell ist das von außen nicht wirklich zu bewerten, wäre natürlich schön, wenn dazu mehr Infos kommen und vor allem das NLZ den aktuellen Weg genauso engagiert weiter verfolgt. Hildebrandt wird daran gemessen werden, wie in zwei bis vier Jahren der Zustand des NLZs sein wird.




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