Nov 07, 2023

10. Spieltag: "But can they do it on a cold rainy night in Heidenheim?"



They can't. Zumindest nicht am 5. November 2023. Auf der Alb tut sich der VfB über weite Strecken schwer, eine Strategie unter speziellen Bedingungen und gegen gut eingestellte Heidenheimer zu finden. Silas verschießt den Elfer, Heidenheim trifft dann irgendwann nach einer Ecke. Viele weitere Lattentreffer machen die Partie allein schon deshalb denkwürdig.


Schauen wir uns die Begegnung einmal unter der Lupe an.


Ausrichtung

Sebastian Hoeneß wählte gegen Hoffenheim diese Startaufstellung:



Im Vergleich zum 1:0-Sieg im DFB-Pokal gegen Union Berlin nimmt Hoeneß 2 Personalwechsel vor. Stenzel ist angeschlagen und wird mal wieder durch Anthony Rouault ersetzt. Anstelle von Leweling spielt Silas von Beginn. Außerdem ist Millot nicht Teil des Kaders (familiäre Gründe), Guirassy ist nach seiner Verletzung noch nicht bereit für eine Kadernominierung.

Im Spiel wird das Wechselkontingent von Hoeneß zum ersten Mal erst in der 71. Minute direkt nach dem Heidenheimer Führungstreffer aktiviert: Raimund und Leweling kommen für Jeong und Silas (Raimund auf rechts, Leweling in der Mitte). Nur vier Minuten später nehmen auch Stergiou und Mittelstädt an der Partie teil, im Gegenzug verlassen Rouault und Ito die Partie. In der Schlussphase (80.) wird Karazor gegen Egloff getautscht.

Der Spielfilm und taktische Beobachtungen


Halbzeit I

Die Partie beginnt abtastend. Auffällend ist, wie Heidenheim sich auf den VfB vorbereitet hat: Im Spielaufbau begleitet Kleindienst Zagadou, die beiden Sechser werden manngedeckt, die Außenverteidiger haben ebenso Personal in der Nähe. Auf diese Weise ist der übliche Spielaufbau äußerst schwierig, der Weg über den freien Anton wird in der Anfangsphase zu wenig gesucht. Allerdings sind für ihn die Anspielstationen auch begrenzt, speziell weil ohne Guirassy auch die langen Bälle schwieriger zu spielen sind.

Nach 6 Minuten ist nach einer ersten Heidenheimer Ecke die erste Torgelegenheit für die geographischen Nachbarn zu vermerken, eine Kopfballverlängerung geht aber ins Niemandsland. Etwa 30 Sekunden später spielt Stiller aus der eigenen Hälfte heraus gegen aufgerückte Heidenheimer einen langen Ball auf den startenden Silas. Silas nutzt seinen Geschwindigkeitsvorteil und läuft auf Heidenheims Keeper von halbrechts zu. Er legt den Ball an ihm vorbei, wird aber dann im letzten Moment durch den mitgelaufenen Verteidiger Gimber vom Ball getrennt, mit etwas mehr Cleverness war in der Situation sicherlich mehr drin.

Neben der beschriebenen Taktik im Stuttgarter Spielaufbau ist auch die defensive Strategie von Heidenheim interessant. Sobald der VfB aufrückt ziehen sie sich zurück, Beste wechselt zwischen einer Rolle als Linksverteidiger und linker Mittelfeldspieler dann, so dass Heidenheim teilweise mit einer Fünferkette agiert. Ist Heidenheim in der Offensive rückt das gesamte Mittelfeld weit auf und besetzt auch gut den Strafraum bei Flanken.

Insgesamt findet der VfB aber zunehmend zur gewohnten Feldüberlegenheit in den ersten 10 Minuten, die offensive Durchschlagskraft fehlt aber zunächst. In der 17. Minute dann die erste gute Chance für Heidenheim: Bestes Ecke landet auf dem Kopf von Schöppner, der sich zentral vor dem Tor gegen Stiller durchsetzt und knapp übers Tor köpft, dabei noch die Latte streichelt.

Mitte der ersten Hälfte beruhigt sich die Angelegenheit ziemlich. Viel Ballbesitz für den VfB, der sehr geduldig und strukturiert agiert, dem aber in dieser Phase es an Ideen mangelt, wirklich gefährlich vors Tor zu kommen. Wird das Pressing umspielt, dann ist entweder auf den Flügeln oder vor den Strafräumen Endstation.

In der 29. Minute bricht Heidenheim einmal durch, Anton rettet im Strafraum. Direkt danach verunglückt Zagadou eine Klärung, Schöppner kann zentral aus ca. 14 Metern abziehen - wieder springt Anton rettend in den Ball. Die Unsauberkeiten in der Defensive mehren sich, in der 32. muss Anton erneut klären - alleine (plus Nübel) gegen sage und schreibe 3 Heidenheimer. Bei der folgenden Ecke kann Zagadou irgendwie Kleindiensts Schuss aus dem Getümmel blocken, die folgende Ecke köpft wieder Kleindienst am kurzen Pfosten aufs kurze Eck, dieses Mal Nübel mit einer glänzenden Parade. Heidenheim on fire und sehr agressiv.

In der 37. Minute wird es dann aber auf der anderen Seite plötzlich interessant. Freistoß aus sehr guter Position halbrechts, etwa 20 Meter vor dem Tor. Stiller dreht den Ball auf die rechte obere Eck - Latte! Eine ordentliche Chance hat Undav in der 39. Minute, Stiller eine in der 41. Minute. Undav schießt drüber, Stiller agiert nicht zielstrebig genug und will abspielen. Nach der Heidenheimer Drangphase schafft es der VfB am Ende der ersten Hälfte wiederholt, auf engem Raum im offensiven Drittel zu kombinieren, was bis dahin gar nicht funktioniert hatte. Zuvor galt in der ersten Hälfte: Wenn etwas ging, dann meist über Silas.

In der 43. Minute hat Heidenheim erneut eine Ecke, dieses Mal köpft Gimber frei an die Latte. Nachdem in der Nachspielzeit Anton mal wieder im Strafraum rettet, startet Silas in den Konter und verhält sich leider im Zweikampf so, dass er abgepfiffen wird. Unter starkem Regen hatte der VfB nach etwa 30 Minuten die Spielkontrolle komplett verloren und in einer wilden Partie kam Heidenheim zu einem deutlichen Übergewicht an hochkarätigen Chancen, meistens nach Ecken.


Halbzeit II

Die zweite Hälfte beginnt erst ohne größere Torchancen. In der 55. Minute wird eine Silas-Flanke von Heidenheim zur Ecke geklärt. Bei der Ecke dann ein Zweikampf zwischen Maika und Anton, Anton wird am Trikot gehalten - und der Schiedsrichter gibt Elfmeter. Eine glückliche Entscheidung. Silas tritt an. Und schießt rechts über den Kasten! Sogar recht deutlich, der ist ihm verrutscht! Der nasse Boden mag eine Rolle gespielt haben, aber was für eine vergebene Chance.

In dieser Anfangsphase der zweiten Hälfte hat sich die Partie sehr beruhigt. Der VfB hat wieder die Spielkontrolle, Heidenheim zieht sich teilweise sehr zurück, schafft es dadurch aber auch kaum Chancen zuzulassen. Wenn Heidenheim in der Offensive ist, dann läuft es meist auf Standards hinaus, die aber zunächst nicht mehr so gefährlich wie in Durchgang 1 sind.

In der 69. lässt sich Undav im Spielaufbau etwas zurückfallen, verliert dann aber recht leicht den Ball, im Konter klärt Zagadou zur Ecke. Diese Ecke (insgesamt hat Heidenheim 9 Ecken im Spiel, der VfB 6) schlägt Beste wieder auf Höhe des ernsten Pfostens in den Strafraum und aus etwa 8 Metern steigt Schöppner am höchsten und köpft souverän ins von ihm aus linke Eck ein. 1:0 für Heidenheim.

Zunächst bleibt die Reaktion aus. Besser wird es erst nach den Einwechslungen in der 75. Minute, durch Mittelstädts offensive Interpretation des Linksverteidigers hat der VfB nun einen Offensivakteur mehr auf dem Platz. Auch Leweling wirkt griffiger als die übrigen Offensiven. Torchancen bleiben aber in der zweiten Hälfte weiter aus. In der 79. Minute verzieht der nachgerückte Mittelstädt knapp links oben, nach dem er von Führich geschickt wird. Führich wirkt damit förmlich zum Leben erweckt, in diesem Duo besteht deutlich mehr die Möglichkeit für ihn, gedoppelt, Situationen herbei zu führen.

Bis auf den Elfmeter von Silas vermerkt fotmob.com bei den expected goals keine einzige Situation mit einer Torwahrscheinlichkeit von mehr als 5% auf beiden Seiten in der 2. Hälfte bis zur 85. Minute. Trotzdem ist es kein fades Spiel, der Wille ist den Akteuren nicht abzusprechen und die Räume sind theoretisch vorhanden. Die VfB-Ecken sind möglicherweise heute spielentscheidend, keine einzige gefährliche Torgelegenheit entspringt ihnen (mit Ausnahme des Elfmeters).

In der 86. Minute wird Egloff am kurzen Eck gerade noch so geblockt. Es folgt eine Drangphase. Zunächst mehrere Ecken, dann Mittelstädt und Führich über links, Lewelings und Zagadous Schüsse werden noch gerade so geblockt. In der Nachspielzeit schickt Undav Mittelstädt, der spielt den agilen Leweling an. Irgendwie schafft es Leweling den Ball in die Mitte zu bringen, Raimund wird geblockt, Stiller serviert ihm den Ball erneut perfekt, Raimund springt in den Ball im Fünfmeterraum, nicht einfach zu verarbeiten - Latte! Den Abpraller köpft Leweling und auf der Linie rettet ein Heidenheimer Bein.

In der Nachspielzeit köpft Heidenheim den Ball aus dem Strafraum, in den Lauf von Kleindienst, Anton mit einem Stockfehler und Kleindienst hebt den Ball von der Mittellinie über den aufgerückten Nübel ins Tor. Klappe zu. 2:0.



5. 11. 2023 | 10. Bundesliga-Spieltag 2023/24

1. FC Heidenheim - VfB Stuttgart 2:0 (0:0)
1:0 Schöppner (70.)
2:0 Kleindienst (90 +4)


2 Dinge, die auffielen


1. Woran hat et jelegen?

Es war ein Spiel, das aus der Reihe fiel. Nach vielen knappen Siegen und einer unglücklichen Niederlage (gegen Hoffenheim) nun eine knappe, aber verdiente Niederlage. Ein Spiel mit vielen Faktoren. Da wäre einmal der Lokalfaktor: Für die Heidenheimer war diese Partie sicherlich eines der absoluten Highlights der Saison - bei den VfBlern bezweifel ich das eher. Dann der Regenfaktor. Sicherlich war der Platz schneller und schwerer zu bespielen als üblich an diesem Sonntagabend. Heidenheims Standard-Strategie funktioniert da natürlich ausgezeichnet. Außerdem: Die englische Woche. Ist es Zufall, dass die beiden schlechtesten Spiele unter Hoeneß (Hertha und Heidenheim) nicht nur beide mit einem "H" beginnen, sondern auch nach Pokalspielen und einer englischen Woche stattfanden? Vermutlich nicht. Obwohl Heidenheim ja auch eine englische Woche hatte, wirkte der VfB etwas müde und manche Akteure überspielt (Karazor schon seit ein paar Spielen zum Beispiel).

Aber auch ohne diese weichen Faktoren, die von außen schwer zu beurteilen sind, sind einige Fragen zu stellen. Wie genau war der offensive Plan heute? Theoretisch wahrscheinlich wie immer, aber auf dem Untergrund ist das saubere Kurzpassspiel natürlich schwer umzusetzen gegen tief stehende Heidenheimer mit Fünfer- und Viererkette vor dem Strafraum. Bezeichnend, dass es besser wurde, als mit Mittelstädt die Umstellung auf Dreierkette kam, dieser Wechsel kam wohl zu spät. Ebenso wird sich Hoeneß fragen müssen, ob gegen defensive Gegner wirklich eine Doppelsechs notwendig ist. Zwar hat Stiller sowieso eine andere Interpretation der Sechs und viele spielgestaltenden Aufgaben, aber gegen Gegner, die eher defensivorientiert sind, fiel es dem Team recht schwer, die Verbindung zwischen Defensive und Offensive herzustellen. Hier wäre eine Doppelacht/Doppelzehn möglicherweise passender, oder zumindest ein dynamischer zweiter Sechser (wie Millot oder Egloff), um Durchbrüche zu schaffen, wenn die langen Bälle aus dem Spielaufbau heraus nicht so recht funktionieren wollen. Undav hatte hier heute leider einige Ballverluste und auch die übrigen Akteure taten sich schwer.


2. Heißer Herbst

Vor dem Heidenheim-Spiel gabs hier auf der Seite noch einen Kurz-Kommentar (VfBlog.de | Kurz-Kommentar: Ein goldener Herbst?). Neben der schon wieder etwas in den Hintergrund geratenen Einschätzung, dass der Pokalauftritt die Lernbereitschaft des Teams zeigte, gings darin um die vielen interessanten Spiele in den nächsten Wochen bis Weihnachten. Nun kam auch noch das Pokalheimspiel gegen den BVB hinzu - es wird also ein ganz heißer Herbst, und aufgrund der guten Spiele im September und Oktober auch kein schwarzer. Aber ob es ein goldener oder eher ein bronzener wird, das müssen wir noch sehen. Natürlich wäre es nice to have, wenn gegen Dortmund mindestens ein Punktgewinn möglich wäre, schließlich wäre dann der kurzzeitige Liga-Trend wieder gestoppt (und danach gehts nach Frankfurt), aber das wird sehr schwierig. Zumindest ist gegen Dortmund traditionell ordentlich was los, schließlich ist Dortmund vieles, aber sicherlich keine perfekt geölte Defensivmaschine.




To be mentioned



  • Luca Raimund, VfB-Bundesligaspieler

    Herzlich willkommen Luca Raimund! Auf viele, viele Einsätze möglicherweise für den VfB! Lerne und spiele einfach.


  • Sonderlob Beste

    Ausnahmsweise ein Sonderlob an einen Spieler des Gegners: Was Jan-Niklas Beste nicht nur barttechnisch, sondern auch fußballerisch abliefert, ist wirklich spektakulär. Man würde ihn ja am liebsten nur wegen der Standards aufstellen, wenn man ihn im Team hat. Sieht man selten in dieser Ausprägung und erinnert an einige der besten Standardschützen der letzten Jahre der Bundesliga, von denen es ja gar nicht soo viele gibt.




In eigener Sache:

Im Fragebogen kam nun schon mehrmals die Anmerkung, dass der Spielfilm nicht so ausführlich sein bräuchte. Dazu kurze Antwort von mir: Ich bin da noch am Experimentieren. Prinzipiell geht es nicht ohne, weil ich viele Dinge erst beim Re-Watch bemerke und deshalb so oder so, das Spiel nochmal unter die Lupe nehmen muss. Natürlich müsste das nicht zwingend veröffentlichen, aber ist für mich der beste Weg, um mich nochmal präzise mit der Partie auseinanderzusetzen. Es ist also sozusagen, ein Blick in meine Notizen der Partie. Ich habe schon versucht, das Ganze analytischer zu gestalten, und nicht nur den Ticker zu machen, sondern auch einige übergeordnete Analysen einzubauen, aber dadurch wurde der Spielfilm noch länger. Unabhängig von diesen Schwierigkeiten des perfekten Formats, bin ich aber davon überzeugt, dass es eben nicht nur ein x-beliebiger Ticker ist, weil ich schon versuche, auch die Entstehung von Situationen nochmal zu beschreiben, und deshalb auch hoffentlich neue Erkenntnisse beim Lesen des Spielfilms rauskommen. Ansonsten kann man ihn ja auch überspringen.. ;-)

Eine schöne Woche allen!


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